Eine bewundernswerte Frau
Gisela Trahms
Claude Lévi-Strauss - dieser Name leuchtet. Als seine Witwe Monique 2014 ein Buch veröffentlicht, erwartet mancher ein Portrait des Ehemanns. Tatsächlich deutet sie in drei Sätzen an, wie sie ihn kennen lernte: bei einem Abendessen, zu dem Jacques und Sylvia Lacan im September 1949 eingeladen hatten. Lévi-Strauss ist einundvierzig, sie dreiundzwanzig, zwei Jahre später ziehen sie zusammen. Damit endet ihr Leben als Mademoiselle Monique Roman, also "das, was ich erzählen wollte".
Im Rachen des Wolfes enthält die Geschichte ihrer Kindheit und Jugend, aufgeschrieben für die Enkel und erschreckend genug. Die ersten Seiten zählen die väterliche und die mütterliche Familie auf: viele Onkel, Tanten, Cousins und Cousinen, die weit entfernt voneinander wohnen, aber trotzdem in Verbindung bleiben. Jean Roman, Moniques belgischer Vater, muss schon als Kind hart für seinen Lebensunterhalt arbeiten, deshalb ist ihm später die schulische Bildung der eigenen Kinder so wichtig. Trotz übelster Bedingungen erkämpft er sich eine akademische Ausbildung zum Ingenieur und heiratet in eine reiche jüdische Familie ein. Moniques Mutter wurde in London geboren und wuchs in Paris auf. Ihr Großvater war einst als assimilierter Jude aus Wien nach Amerika ausgewandert.
Diesen internationalen Hintergrund erleben die 1926 als belgische Staatsbürger geborene Monique und der jüngere Bruder Michael schon als Kinder. Man verbringt die Ferien bei der österreichischen Verwandtschaft, spricht Englisch und Französisch. Als Jean Roman Kontakte zur Gutehoffnungshütte im Ruhrgebiet knüpft, vereinbart er mit einem Abteilungsleiter, dass Monique, obwohl Halbjüdin, den September 1938 bei dessen Familie in Oberhausen verbringen, dort die Schule besuchen und Deutsch lernen soll. Gegen den Widerstand der Mutter setzt er diesen Plan durch, während er selbst noch in Brüssel arbeitet. Dass es ihm gelingt, die Zwölfjährige einen Tag nach dem Münchner Abkommen aus Deutschland nach Paris zurückzuholen, war nicht so selbstverständlich, wie er behauptete. Dass er jedoch das Vertrauen der Tochter in die väterliche Weisheit für immer zerstörte, bemerkt er vielleicht gar nicht.
Vielmehr unterzeichnet er 1939 seinen Arbeitsvertrag mit dem deutschen Stahlwerk und zwingt seine jüdische Frau, ihm mit den Kindern zu folgen. Sie wohnen zunächst in Wesel, später in Düsseldorf, Gerolstein und Bonn. Immer in Gefahr, dass die jüdische Identität der Mutter entdeckt wird, überstehen sie den Krieg und gelangen am 8. Mai 1945 mit Hilfe amerikanischer Offiziere zurück nach Paris. "Diese sechs Jahre in Deutschland nehmen in meinen Gedanken einen ungeheuer großen Raum ein: Sie wiegen schwerer als der Rest meines Lebens", schreibt die Autorin in ihrem Vorwort. Der "Rest" umfasst immerhin eine fast sechzigjährige Ehe mit einem der berühmtesten Denker der Nation, zahlreiche Reisen, eigene Forschungen und Veröffentlichungen, zwei Kinder und Enkelkinder - ein außergewöhnliches Leben, eine bewundernswerte Frau.
Um ihre ersten zwanzig Jahre zu schildern, genügen ihr 128 Seiten. Kurz und präzise, das scheint ihr Wahlspruch gewesen zu sein. Und bloß keine Sentimentalitäten. So gleicht der Text eher einer Dokumentation als einer Erzählung, was man manchmal bedauert. Andererseits ist es gerade die Komprimierung, die den Text so dicht und glaubhaft macht. Nur selten erlaubt sich die Verfasserin, das Verhalten der Eltern, besonders des Vaters, zu kommentieren. Nach heutigen Maßstäben hat er Frau und Kinder in haarsträubende Situationen verwickelt. Ihre Angst ist spürbar, die Ausweglosigkeit, besonders als der Vater interniert wird und die Mutter allein für sich und die Kinder sorgen muss.
Immer gilt der Blick der Autorin den konkreten Umständen, dem einzelnen Menschen. Statt summarischer Urteile über 'die Deutschen' oder gar 'die Boches' machen knappe Skizzen den Charakter und die Handlungsweise der Beteiligten deutlich. Der Alltag der Kriegsjahre zeigt sich in all seinen Mühseligkeiten und Schrecken: die kalten Winter, der Hunger, der bizarr wirkende Versuch, in diesen Zeiten ein 'normales' Abitur anzustreben, der Kampf ums Leben und Überleben, als die Bomben fallen. Monique Lévi-Strauss' schmales Buch fügt den vielen Darstellungen dieser Jahre ein eindrucksvolles autobiographisches Zeugnis hinzu. |