Das Knistern der Wörter
Rolf Birkholz
"Wir: aus Erde und nicht imstande die wilden Farben der Bäume anzunehmen". Dann: "Aus dem Meer sickert Farbe / flirrt unterhalb des Windes". Und "es braucht mehr / Worte als Farbe / all dies zu zeigen: Wolken in dichten / Ballen zartgelbes Sonnenlicht ein weißes Gebirge das Himmelsblau". Oder "Schäume tuschen die Wipfel der Mondbäume im Saum / fell des Meeres". Die "Wetterpapiere. Landschaften ohne Rahmen" mögen veranschaulichen, wie Johann P. Tammen mit Worten gleichwohl Schritt zu halten versucht mit den Naturerscheinungen. Dies hinterlässt den nachhaltigsten Eindruck in seinen ausgewählten Gedichten 1969-2019, die jetzt unter dem Titel Stock und Laterne vorliegen. "Statt eines Nachworts" schildert der auch als langjähriger Herausgeber der Literaturzeitschrift die horen bekannte Autor, wie er als lesender Junge im friesischen Dorf früh am Priel Impulse empfing. "Und dessen Wasser glich im Fließen dem Fluss der Wörter auf dem Papier, deren Wirkmacht ihm Halt gab." Bald sah er mit "am offenen Meer trainierten graugrünen Augen, die längst begonnen hatten, mit der ihnen eigenen Tiefenschärfe das deutlich vernehmbare Knistern der Wörter in der Weite der Landschaft zu bezeugen." "Mit den vom Meer her kaspernden / Winden im Ohr" sammelt Tammen zudem Wörter aus den "Sprachschobern Europas", türmt "Graupel / Krumen Kräusel", manch "Kapergut" darunter, zu "Silbenhaufen". Es sind deren viele, doch der Dichter formt sie bis auf den Schlusspunkt fast ohne Satzzeichen, dafür mit seinen charakteristischen Leerstellen zu souverän gezähmten Strophen, deren wilder Inhalt erkennbar bleibt wie zappelnde Fische im prall gefüllten Netz. Wie tatsächlich und gedanklich dem Wetter setzt Johann P. Tammen sich zwischen Stall und Priel immer wieder dem "Wörterschneetreiben" aus, dem "Fliegen und Kreisen, Knistern und Knarzen des Wortgetümmels unter den Wolken voller Fischlaich und Regen". So sichtet, so sichert er "Floßholz für ein Gedicht". Und so liefert er uns aus dem "Delta des Priels" originelle, immer um Wortwahrheit besorgte An- und Einsichten zu Wetter, Land und Wellenwelt. Um welche Genauigkeit der Poet dabei bemüht ist, zeigt eine der Seefarbenbestimmung geschuldete, durchaus heiter zu nehmende Erkenntnis übers Meer: "Es verschmäht Wasserfarben." Die Jubiläumsauswahl zum 75. des Autors wird ergänzt durch Wind und Windporzellan, einen Band mit Nachdichtungen internationaler Poesie. Sie sind über die Jahre auf der Basis von Interlinearübersetzungen entstanden. Hier lässt sich auch manch ein vielleicht noch nicht so bekannter Autor entdecken. |