Paare, Passanten - Kolumnen/Duette
Andreas Heckmann
Keine Sorge, hier wird kein Buch von Botho Strauß besprochen. Es geht vielmehr um Arbeiten dreier Paare, die diesen Herbst im Verbrecher Verlag erschienen sind: um Thomas Meineckes Analog, das seine zwischen 2007 und 2013 verfassten Kolumnen für das Musikmagazin Groove mit Zeichnungen seiner Partnerin Michaela Melián versammelt, um Kriemhilds Lache, eine Auswahl aus Schröder erzählt 1990-2013, redigiert von Barbara Kalender und Jörg Schröder, und um Mauer Park von David Wagner, bereits 2001 unter anderem Titel als Buch veröffentlichte, davor zumal in der FAZ erschienene Kolumnen über Berliner Orte, die Wagner in jüngster Zeit - als Wiedergänger seiner selbst - erneut besucht hat, um seine Texte mit Postskripten zu versehen, die aktuelle Eindrücke festhalten.
Ob Kolumnen- oder Auswahlbände: Was in lockerem zeitlichem Nacheinander gern gelesen wurde, vermag zwischen Buchdeckeln oft nicht so zu begeistern. Das gilt hier vor allem für Kriemhilds Lache, ein fein in gelbrotes Leinen (die März-Farben) gebundenes Buch im schönen, schlichten Design des Verbrecher Verlags. An die Stelle des Erzählflusses des Originals nämlich ist eine stakkatohafte Folge halb- bis vierseitiger Genusshäppchen getreten, die überfallartig serviert, um nicht zu sagen auf den Tisch des Lesers geknallt werden, und bald stellt sich Beliebigkeit ein: Wovon Jörg Schröder im Gespräch mit Barbara Kalender auch erzählt, es mag grotesk, skurril, durchtrieben, rührend, absurd, verquer, poetisch, listig oder obskur sein, mag Jahrzehnte oder nur wenige Jahre zurückliegen, im fernen Ausland oder in der deutschen Provinz spielen, es bleibt doch unverbunden, eine Nummernrevue, bei der das rote Lesebändchen den roten Faden ersetzt, und der stete Plauderton fehlt, der die Folgen von Schröder erzählt über ein Vierteljahrhundert so schön zusammenhielt. Dass David Wagners Kolumnen je langweilen könnten, damit muss selbst der nicht rechnen, der die zu Büchern zusammengefassten Beiträge an einem Abend keck durchstürmt. Der Hauptstadt ist in Wagner ein vom Rhein zugereister Flaneur zugewachsen, ein "gelernter Berliner" (Bernd Cailloux), der sich mit der Anmut Walter Benjamins und Franz Hessels in der ihm längst sehr gut bekannten Stadt geschult zu verlaufen weiß. An Mauer Park gibt es daher zunächst auch nichts zu kritisieren: Wer die 2001 erstveröffentlichte Kolumnensammlung In Berlin nicht kennt, greife zu und gönne sich einen Hochgenuss. Und doch fällt ein Schatten, ein Schlagschatten fast auf das Buch, denn es tritt dem Leser mit der Ankündigung entgegen, der Autor kommentiere die Orte, die er vor bald fünfzehn Jahren besuchte, zudem aus der Perspektive einer Wiederbegegnung im Jahr 2012 oder 2013. Sicher, das tut er, und doch sieht sich der frohgemut loslesende Wagner-Fan oft, allzu oft um den zusätzlich versprochenen Genuss geprellt, denn nur selten lässt der Autor sich auf das ein, was er nach anderthalb Jahrzehnten wiedersieht. Großartig tut er das zugegebenermaßen etwa in dem Text über die Wagenburg auf der Treptower Seite des Landwehrkanals. Zu oft aber wird man mit Dreizeilern oder nicht wirklich inspirierten Halbseitern abgespeist, die konstatieren, viel habe sich nicht verändert (etwa in der Urania), oder nichts sei mehr da (wie beim Joop!-Store in Potsdam). Hätten da nicht Reminiszenzen ans Vergangene oder Reflexionen über die eigene Wahrnehmung oder die Furie des Verschwindens manche Lücke füllen können und sollen? Es scheint, David Wagner habe mitunter die Chance vertan, in einem vertieften Dialog mit sich den Lesern Einblicke in das in stetem, wiewohl bisweilen zähem Fluss befindliche Berlin zu schenken. Erstaunlicherweise haben mich gerade Thomas Meineckes nerdig-verspulte Kolumnen aus Groove beflügelt und, ja wirklich, beglückt. Ob das an meiner Verfassung lag? Ich saß nämlich im Regionalexpress nach Emden, nachdem mein erster ICE kurz hinter München, in Pfaffenhofen an der Ilm, mit Lokschaden liegen geblieben war und auch der zwei Stunden später ins Rennen gegangene ICE (mit Christos Davidopoulos und Jazzmin vom "Optimal"-Plattenladen musikgeschäftlich nach Hamburg unterwegs) derart geschwächelt hatte, dass in Hannover der Anschluss weg war und meine Ankunft auf Borkum sich um viereinhalb Stunden verzögert hätte, wäre da nicht eine gutwillige Bahnmitarbeiterin gewesen, die mir einen Taxigutschein von Oldenburg nach Emden-Außenhafen spendierte, auf den ich zwar einen moralischen, kaum aber einen Rechtsanspruch besaß. Mit der Aussicht, qua Gratis-Taxi-Endspurt zwar nicht mehr die Fähre, aber immerhin noch den Katamaran auf die Insel zu erwischen, schlug ich da - übernächtigt, waidwund, eben noch genervt, dann unverhofft beschenkt, aufgekratzt und obendrein von einem Beck's beflügelt - das 110-seitige Meinecke-Büchel auf, und prompt erhob sich Zauber aus den Seiten. Sicher, Meinecke kolumnisiert in Analog munter fachchinesisch, nennt Namen und Stile, die ich nie gehört habe, und entwirft Traditionslinien, bei denen ich nur "Hm" zu machen und den Kopf ob seiner Schlauheit und meiner Ignoranz zu schütteln wusste. Ich hätte das Büchel also beiseitelegen und denken können: Wir zwei sind nicht füreinander geschaffen. Oder: Der spinnt, der Meinecke. Oder: Hat Anna wirklich recht, wenn sie vermutet, ich habe zwanzig Jahre meines Lebens in Nordkorea verbracht? All das hätte ich tun können, doch ich habe etwas anderes getan: Ich habe weitergelesen, wozu mich (neben Gutschein und Dosenbier) nicht zuletzt die schönen Zeichnungen von Michaela Melián verführt haben, die je zwei der 33 Kolumnen mit verschiedenfarbigen Single-Aquarellen voneinander trennen wie Leerrillen, auf denen die Nadel des DJ träumerisch aufsetzt. Eine serielle, wunderbar minimalistische Bildidee, die pastellen durch alle Farben des Tuschkastens führt. Ja, und da habe ich gemerkt, dass das Fachchinesisch von Herrn Meinecke poetische Funken schlägt, wenn er im Gestus des gelassenen Experten freundlich Namensgirlanden knüpft, bei denen ich - Wunstorf, Nienburg, Verden gleiten vorbei - nur Bahnhof verstehe. Na, mögen Sie denken, klingt nach hermetischer Lyrik, muss man nicht lesen. Sollte man aber, denn zwischen in breiter Dünung anwogendes Fachwissen schaltet Meinecke Alltagsimpressionen und lebensweise Einsichten, die in so lässigem Ton daherkommen, wie er ihn lange nicht mehr angeschlagen hat, und diese Episoden haben mir die Kolumnen so lesenswert gemacht, dass ich - ganz gegen meine Gewohnheit - zum Bleistift griff und an den Rand erst Ausrufungszeichen, dann kurze, schließlich längere Balken setzte, um diese Herrlichkeiten bald wieder anzusteuern. Beispiele gefällig? "Das sind die schönsten Momente in der Sozialisation eines unersättlichen Popisten: Man weiß noch gar nicht, was es ist, das einen da erwischt hat, man liebt es aber schon und genießt es sehr, noch keine Worte dafür zu haben" (Kolumne 23). - "Total interessant, den sich ja doch stets nach sehr intuitiv flottierenden Idiosynkrasien vollziehenden Umwälzmechanismus in der Plattenkiste nachträglich auszulegen. (Wie man der musikalischen Entwicklung ja ohnehin nicht vorsteht, sondern irgendwie religiös ministriert)" (Kolumne 3). - "Der zugleich hedonistische wie angenehm windige Ruf Münchens hat sich ja bis heute [...] gehalten. Noch immer hätte ich gern einen Bumper-Sticker mit dem Titel einer frühen Gomma-Platte: I come from München-Sendling and I don't give a fuck" (Kolumne 19). Hier werden künstlerische Einsichten in einer entspannten Sprache mitgeteilt, die man sich erst mal erschrieben haben muss. Danke, Thomas Meinecke, für diese heruntergedimmten Aphorismen, die - en passant mitgeteilt - eins sicher sind: Literatur. Dass der schmale Band freilich vierzehn Euro kostet, ist ein Ärgernis, das fast wünschen lässt, er wäre in der edition suhrkamp erschienen, für dort nämlich allenfalls acht Euro.
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