Edelsteine unserer Landschaft
Gernot Wolz
Echte Gespräche kommen heutzutage sowohl in den Medien wie auch im Privatleben allzu kurz. Über Gründe hierfür ließe sich prächtig räsonieren. Umso erfreulicher, dass Gero von Boehm seit über dreißig Jahren in diversen TV-Sendereihen die Kunst des Gesprächs gepflegt hat – "Big Talk statt Small Talk". Zwei Jahre nach seiner letzten Sendung liegen seine Begegnungen mit außergewöhnlichen Persönlichkeiten in nahezu hundert Gesprächsprotokollen jetzt erstmals in Buchform vor.
Boehm leitet sie jeweils mit kurzen Tagebuchnotizen ein, die Erwartungen und Resümees wiedergeben oder einfach nur auf die Atmosphäre einstimmen: "Schönes altes Landhaus, weißes Holz – amerikanischer geht's nicht. Arthur Miller empfängt äußerst freundlich. Seine grundlegende Melancholie kann und will er nicht verbergen. Dann Spaziergang über das große Grundstück. Am Teich eine Bank, auf der er immer mit Marilyn Monroe saß."
Trotz Boehms profunder Vorbereitung auf seine jeweiligen Gesprächspartner, meist mit einer besonders guten ersten Frage, gelingen natürlich nicht alle Gespräche. Mal passt die Fragestrategie nicht, mal sind die Prominenten zu ich-bezogen oder warten nur mit Banalitäten auf: "Ich bin mit dem Leben beschäftigt" (Martina Gedeck). Am Anfang, noch ohne die professionelle Gewandtheit, ein zerfahrenes Gespräch mit Helmut Qualtinger, immer wieder vom Wesentlichen abschweifend. Enttäuschend auch die Filmdiva des Dritten Reiches, Marianne Hoppe. Ihr mutiger Satz, den sie Goebbels gegenüber geäußert haben will, wirkt im Verlauf des Gesprächs immer unglaubwürdiger. Ihr gespaltenes Bewusstsein scheint auch symbolisch durch, wenn die Kamera sie nur im Halbdunkel filmen darf. Überwältigend dagegen die Bekenntnisse Norman Mailers. Seine Geistesblitze zu Grenzen des Romanschreibens, Demokratie, Identitätskrisen, Drogen, zum Unbewussten sowie zum Tod frappieren und bleiben unvergesslich.
Unabhängig voneinander widerlegen zwei Zeitzeugen der 30er-Jahre, der Historiker Golo Mann und der Schriftsteller Georges-Arthur Goldschmidt, eine üblich gewordene Gleichsetzung. Faschismus, den es eigentlich nur in Italien gab, und Nazismus hätten überhaupt nichts miteinander gemein. Auf ihre einleuchtenden Argumente hin wirkt es dann in der Tat äußerst lächerlich, in Deutschland einen Platz "Opfer des Faschismus" zu nennen.
Besonders faszinierend, wenn die Offenlegung des persönlichen Weltempfindens gelingt. Der areligiöse Schauspieler Ulrich Tukur feiert Kirchen als "Edelsteine unserer Landschaft". Für den Dramatiker des Absurden, Eugene Ionesco, spielte Gott mit der Schöpfung der Menschheit einen Streich, und er verrät, warum er politische Aktionen jeglicher Art fürchtet. Joschka Fischer hält Wahlsieger nicht für glückliche Menschen. Vom Autor Gore Vidal erfahren wir, warum der Weise niemals lügt, die Fotografin Gisele Freund erinnert sich an den Kulturschock durch die Farbfotografie im Jahr 1939 und erklärt, wozu wir alle Masken tragen müssen. Karl Lagerfeld schwärmt von Freundschaften zu Menschen der älteren Generation, Susan Sontag moniert die fehlende Kultur, um die vorhandenen Freiheiten gut zu nutzen. Am tragischsten vielleicht die Klage und das Geständnis des Bankiers Alfred Herrhausen, wenige Tage vor seiner Ermordung Ende 1989, dass er die Menschen beneide, die Zeit haben, gebildet zu sein. Wer sich mit seiner begrenzten Welt nicht zufrieden gibt, wer einen Blick auf die verborgenen Lebensbühnen exponierter Zeitgenossen werfen will, dem ist bei Lektüre dieses Buches garantiert, wieder wie ein Kind staunen zu können. |