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               Rudolf Lorenzen zum 85. Geburtstag 
                Andreas Heckmann 
              Wer Rudolf Lorenzens Roman Alles andere als 
                ein Held zu lesen beginnt, sieht sich schon nach wenigen Seiten 
                von einem Erzählton gefesselt, aus dem diskrete, aber stete 
                Schwermut spricht, Bequemlichkeit und der Wunsch, ungeschoren 
                und ungeprüft durchs Leben zu kommen. Schon als Lehrling 
                hat Robert Mohwinkel resigniert. Ausgreifende Schritte, Mut und 
                Hoffnung sind ihm von Anfang an fremd oder werden ihm früh 
                verleidet, ob in der Hitlerjugend mit ihren Schikanen, ob im Büro 
                einer Bremer Reederei, wo er zu Gehorsam und Pedanterie weniger 
                abgerichtet als vollends hingeführt wird, ob im Krieg und 
                in der Gefangenschaft in Russland oder später wieder in der 
                Reederei und dann auf aussichtslosen Auslandsposten in Bordeaux 
                und Marseille. Auch in Liebesdingen wählt der Held stets 
                den bequemsten Weg: Alles widerfährt ihm, ob in den 30er, 
                40er oder 50er Jahren. Während andere in der Wirtschaftswunderzeit 
                Karriere machen oder wenigstens ihr privates Glück unter 
                Dach und Fach bringen, strandet Mohwinkel mit seiner Ilse in Südfrankreich 
                in einer Baracke am Güterbahnhof und später als Tallymann, 
                ehe er - ein unwahrscheinliches Happyend - im Triumph nach Deutschland 
                zurückkehrt.  
                Rudolf Lorenzen, der im Februar seinen 85. Geburtstag feierte, 
                hat diesen 600-Seiten-Roman 1959 veröffentlicht, in einer 
                Sprache, die Zeile für Zeile und Satz für Satz absolut 
                stilsicher ist und deren Sog man verfällt. So möchte 
                man die Welt erzählt bekommen, so illusionslos und doch nicht 
                desillusionistisch auftrumpfend, so traurig und doch nie weinerlich, 
                so präzis beobachtet und dabei doch so eigenartig weich gezeichnet. 
                Harzreisen möchte man in diesem Stil lesen, Berlinromane, 
                Dorfgeschichten. All das aber gibt es nicht, denn Rudolf Lorenzen 
                hat diesen Ton nur in seinem autobiografisch gefärbten Roman 
                und in der Erzählung "Kein Soll mehr und kein Haben" 
                (1957), aus der der Roman hervorging, angeschlagen - einen Ton, 
                mit dem er sich in die Literaturgeschichte eingeschrieben hat 
                und der seinen Roman auch unser Jahrhundert überdauern lassen 
                wird.  
                Warum wohl hat Lorenzen seinen Ton nicht kultiviert und erneut 
                angewandt, diesen eigenen, süchtig machenden, den unverwechselbaren 
                Ton, aus dem literarische Lebenswerke gewebt sind? Aus Enttäuschung 
                darüber womöglich, dass Alles andere als ein Held 
                bei seinem Erscheinen kaum beachtet wurde? Warum mit Herzblut 
                schreiben, mag er gedacht haben, wenn es niemand merkt? Dann doch 
                lieber routiniert und eher unbeteiligt Geschichten in die Maschine 
                klappern.  
                Jedenfalls ist die Lektüre von Rudolf Lorenzens im Verbrecher 
                Verlag erschienener Erzählungssammlung Kein Soll mehr 
                und kein Haben, die Prosa aus den 50er bis 80er Jahren versammelt, 
                recht enttäuschend, weil sie (von der Titelgeschichte abgesehen) 
                nur Texte enthält, denen es mal mehr, mal weniger an Seele, 
                Notwendigkeit, Stilgefühl, Leidenschaft mangelt. Es handelt 
                sich um Brotarbeiten, die den Zeitgeschmack in verschiedenen Genres 
                bedienen und mal Science Fiction, mal Satire, mal Schmunzelgeschichten 
                mit absurden Obertönen, mal milde oder doch wohlfeile Sozialkritik 
                bieten. Mit solchen Geschichten seine Brötchen zu verdienen, 
                ist nicht ehrenrührig, aber sie sind erkennbar für den 
                Tag geschrieben, dazu gedacht, sich zu versenden wie die Dutzendware 
                der Rundfunk- und Fernsehanstalten. Sie nun aus der Versenkung 
                gekramt und neu aufgelegt zu haben, ist jedenfalls sicher keine 
                verlegerische Großtat. Mag sein, dass man im Verbrecher 
                Verlag hofft, sich durch die Namen bekannter Autoren neue Leser 
                zu erschließen oder öfter im Feuilleton besprochen 
                zu werden. Eigentlich eine kluge Strategie, die ohne gute Texte 
                freilich nicht funktioniert. Wäre es anders, hätte Schöffling, 
                wo Alles andere als ein Held 2002 so erfolgreich wiederaufgelegt 
                wurde, sicher weitere Bände hinterhergeschickt. Dort aber 
                war man nach der Neuausgabe der großen Romane Blanche 
                oder das Atelier im Garten von Paul Kornfeld und Herrn 
                Brechers Fiasko von Martin Kessel offenbar gewarnt. Auch diese 
                großartigen Romane nämlich sind Solitäre. Dem, 
                was ihre Autoren sonst noch geschrieben haben und was bei Schöffling 
                erfolglos neu aufgelegt wurde - Kornfelds Legenden, Kessels 
                Lydia Faude - gebührt wohl eher der Liebesdienst des 
                Vergessens.  |