Schürfwunden
Jürgen P. Wallmann
Im letzten Winter ging durch die Presse eine
mit Empörung kommentierte Nachricht: Der deutschen Dichterin
Helga M. Novak sei, als sie von Polen nach Deutschland einreisen
wollte, die Aufenthaltsgenehmigung verweigert worden (- in Polen
hatte sie mit isländischem Pass seit 1987 gelebt). Nun handelte
es sich bei dieser Entscheidung des Ordnungsamtes Borna zwar keineswegs
um einen Willkürakt von Bürokraten, vielmehr war die
Rechtslage recht kompliziert. Immerhin aber hatte es schon Züge
einer Tragi-Groteske, dass einer bedeutenden, jetzt siebzigjährigen
Autorin, die mit wichtigen Büchern die deutsche Literatur
bereichert hat, die Rückkehr in das Land ihrer Geburt verwehrt
werden sollte, weil die DDR sie einst ausgebürgert hatte.
Der Fall, der den Feuilletonisten wohlfeile Gelegenheit geboten
hatte, über die Unbehaustheit des Menschen im Allgemeinen
und die Heimatlosigkeit des Dichters im Besonderen zu räsonieren,
scheint glücklich überstanden und vergessen zu sein.
Nicht vergessen werden aber sollte die Schriftstellerin Helga
M. Novak, deren Hauptwerk ihr poetisches Oeuvre ist. Da manchem
interessiertem Lyrikfreund der 1999 erschienene, immerhin 800
Seiten umfassende Sammelband Solange noch Liebesbriefe eintreffen
vielleicht zu umfangreich und zu teuer ist, bringt der Schöffling
Verlag nun unter dem Titel wo ich jetzt bin einen Auswahlband
heraus, der nur ein Viertel des Buches von 1999 enthält.
Leider verrät der Herausgeber Michael Lentz nichts über
seine Auswahlkriterien. Sein überschwängliches Nachwort
bringt wenig Sachinformationen, dafür viel verquastes Geschwafel
über Gedichte, die angeblich "janusköpfig oszillieren",
"immer hart am Wind (segeln), der bis zur drohenden Selbstentblößung
aufbranden kann" und jemandem "ihre Referenz (sic!)
erweisen".
Solche Geschwätzigkeit des Bachmann-Preisträgers Lentz
ist besonders ärgerlich angesichts der Verse von Helga M.
Novak, die gleich mit ihren ersten Gedichten einen herben und
lapidar-rauhen Ton in die Lyrik brachte, der seinerzeit zumindest
bei schreibenden Frauen ungewohnt war. Statt Bachmann'schem Raunen
und Beschwören traf man in dem Band Ballade von der reisenden
Anna, mit dem die damals Dreißigjährige 1965 debütierte,
auf Balladen und Bänkellieder, die von Brecht beeinflusst
sind, und auf herbe und widerspenstige Lieder, die von den schlimmen
Erfahrungen ihrer Generation geprägt sind: Von Krieg, Verwüstung,
Vertreibung, Besatzung, Nachkriegselend, Vorkriegsangst und Unterdrückung
im "Land Sta" (womit das Land Stalins bzw. sein deutscher
Satellit, die DDR, gemeint ist). In diesen bisweilen grell und
ruppig tönenden, manchmal auch allzu plakativen Gedichten
wird nichts beschönigt, auch nicht die einstige eigene Verstrickung
in das Spitzelsystem. (Das entsprechende Bekenntnisgedicht "Lernjahre
sind keine Herrnjahre" fehlt allerdings in der vorliegenden
Auswahl, was ein weiterer Mangel dieser Edition ist.)
Auch in den folgenden Bänden hat Helga M. Novak ihre zupackende
und unprätentiöse Schreibweise beibehalten. In Reisebildern
und Liebesgedichten, in balladesken und moritatenhaften Poemen,
in Epigrammen und prosanahen Texten, in Versen, die vom Alltag
berichten. In vielen dieser Gedichte werden, zumindest in Andeutungen,
die jeweiligen politischen Ereignisse erkennbar (Stalinismus,
Franco-Diktatur, Sinaikrieg zum Beispiel). Aber es sind zugleich
auch immer ganz individuelle, persönliche (nicht private!)
Gedichte, in denen sich das rastlose Leben einer Dichterin spiegelt,
der Eva Demski eine "Biografie voller Schürfwunden"
bescheinigt hat.
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