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               Tafelbergfreuden 
                Rolf Birkholz 
              Religion und Religiosität durchpfeift seit 
                geraumer Zeit ein steter Wind wohl von Westerwaldkälte. Jedenfalls 
                im westlichen Aufklärungsgebiet. So leuchtet es unmittelbar 
                ein, dass Hans Thill seinen neuen, dritten Gedichtband Kühle 
                Religionen auch in jenem rauhen Mittelgebirge verortet, wo 
                im Stadtnamen Montabaur der biblische (Tafel-) Berg (Mons) Tabor 
                anklingt, auf dem, nach unbelegten Annahmen, Jesu Versuchung wie 
                auch Verklärung stattgefunden haben sollen.  
                Gegen Verklärungen jeglicher Art, "Mons Tabor in jedem 
                gelobten Land" heißt es im Gedicht "Eukalyptusbonbon", 
                durchlüftet Thill religiöse Termini, durchpustet aber 
                auch sonstige Ausdrucksgewohnheiten, durchkreuzt Bilderwartungen. 
                Er legt neue, an Bruchstellen für weitere Kontakte offene 
                Verbindungen. Verbeugungen vor Arp und Soupault sowie dem schwärmerischen 
                Barockdichter Quirinius Kuhlmann mögen darauf verweisen, 
                dass Thill, Jahrgang 1954, zu unorthodoxen, assoziativen Verknüpfungen 
                neigt.  
                "Krumm wie die Kommas kamen wir ins Gehölz / halblauten 
                Flügelschlags", hörten Barkas-Motoren. "Im 
                Wald eines einzigen Bildes / rief es aus unseren Bäuchen 
                in alten Sprachen". Wild pflügt der Autor durchs Unterholz, 
                jagt über zugige Tafelbergpisten. Doch ein paarmal mitgefahren, 
                macht's Spaß, denn der Mann an Wörtersteuerrad 
                und Rhythmuspedal bleibt meistens in der Spur.  
                Das Kapitel "In der Eile" ist eben besonders flott zu 
                lesen und erscheint dann wie ein Film mit markanten Erinnerungsfetzen 
                aus Kindheit und Jugend. Thills mit dem Peter-Huchel-Preis ausgezeichnetes 
                Buch ist zwar mit christlichen, gegen ihre Herkunft verwendeten 
                Vokabeln gespickt. Doch wer so viele (nicht immer treffende) Pfeile 
                auf sich zieht, dürfte noch ein bisschen atmen. 
                Überdies zielt der Autor auch gegen weltliche "Götterschmieden". 
                Und wie Jesus persönlich geriert er sich nicht. Johannes 
                der Täufer genügt ihm, wie "Inschrift III" 
                zu entnehmen ist: "nach uns der nach mir kommt"; ("der 
                nach mir kommt tauft alle mit dem hammer"). Hans Thill tauft 
                unterdessen mit einem Stoff, der, lyrisch betrachtet, klar mehr 
                nach Wein als nach Wasser schmeckt. 
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