Rezensionen

Walter Moers: Wilde Reise durch die Nacht
Friedrich Karl Waechter: Steinhauers Fuß
 

Lasst Sagen sprechen I
Andreas Verstappen

"Am Tod kommt keiner vorbei - außer Stan Libuda" lautet eine alte Fussballerweisheit aus den 60er Jahren. An Gevatter Hein einfach so vorbeizudribbeln, ist alter Menschentraum und Stoff für zahllose Sagen und Legenden. Gerade jetzt hat dieses Genre zwei wunderschöne Neuinterpretationen erfahren, von zwei der profiliertesten Bildergeschichtenmachern im Lande.
Pardon- und Titanic-Mitbegründer Friedrich Karl Waechter hat sich ja schon eine Weile intensivst mit Märchen und Legenden auseinandergesetzt und mittlerweile ein Werk geschaffen, das als eine Art "next Generation" der Brüder Grimm gelten kann. Dabei orientiert er sich durchaus an den tradierten Plots, wie im jetzt vorliegenden Steinhauers Fuß dem Kampf um die Königstochter. Dazu würzt er die Geschichte mit typisch Waechterschen Motiven. Die Story: Die Königstochter hat sich in den kräftigen Steinhauer verguckt. Natürlich will der König die unstandesgemäße Liaison verhindern und schickt den Erwählten in einen Steinbruch, wo der Tod mit scharf geschliffener Sense den jungen Spunten auflauert. Durch eine List entgeht der Steinhauer seiner Enthauptung, verliert aber seinen Fuß, der dann selbständig Rache am König und seinen Schergen nimmt. Dieses Eigenleben der menschlichen Gliedmaßen findet sich schon in frühen Cartoons des Wahlfrankfurters Waechter: "Mein Fuß", so heißt es da schon, "ist schneller als eine Forelle. Aber manchmal erwisch ich das Luder doch!". Waechter illustriert sein Märchen mit bezaubernden Linolschnitten, die diese Technik nochmal vom Muff des Unterstufenkunstunterrichts befreien können, und nutzt die groben Schnitte und flächigen Schwarzweißkontraste des Materials unheuer ausdruckssicher. Zudem baut er optische Scherzchen ein; so erkennt man etwa im Konterfei eines Königsgetreuen Edelfeder und Waechterkumpan Robert Gernhardt wieder.
Entgegen selbstkritischer Bekundungen ist der Blaubär-Schöpfer und Wahlhamburger Walter Moers durchaus kein grafisches Leichtgewicht. Dennoch bemühte er für sein neues Werk nicht den eigenen Pinsel, sondern schrieb seine Wilde Reise durch die Nacht um einundzwanzig Bilder des von ihm verehrten französischen Illustrators Gustave Dorés herum. Der hatte im vorletzten Jahrhundert 221 Texte, von der Bibel bis zu Poe, illustriert. Held der Geschichte ist Gustave Doré selbst, der unbedingt Zeichner werden will, aber leider auf die Auftragsliste des Sensenmannes gerät und nur durch das Lösen von sechs Aufgaben dem Tod noch einmal von der Schippe springen kann. Dazu zählt das Befreien einer, nein, nicht Königstochter, aber immerhin schönen Jungfrau aus den Klauen eines Drachen, das Erraten der Namen dreier Riesen und - Hofmannsthal läßt auch hier grüßen - der Begegnung mit sich selbst. Wie bei Moers nicht anders zu erwarten, ist die Lektüre der Wilden Reise ein großes Lesevergnügen, bürstet er doch in gewohnter Manier die bekannten Muster der Heldengeschichten gegen den Strich und läßt dabei nicht nur den Tod alt aussehen.
Apropos Tod: Beide Autoren gehen der Frage nach, wo denn der Tod eigentlich sein müdes Haupt niederbettet, wenn er nicht gerade seiner aufreibenden Arbeit nachgeht. Beide kommen zu unterschiedlichen Antworten: Bei Waechter wohnt er wie erwähnt im Steinbruch, sucht sich aber aus Mangel an opferbereiten Jünglingen am Ende "ein neues Quartier", Moers verortet ihn auf dem Mond, am Rande des Mare Tranquillitatis, nach dem es ihm in seinem Schloß aus Eis am Nordpol zu unruhig geworden war. Ja was denn nun? Wo wohnt der Tod? Günther Jauch, übernehmen Sie!

 

Walter Moers: Wilde Reise durch die Nacht. Nach einundzwanzig Bildern von Gustave Doré. 208 Seiten. Eichborn. Frankfurt am Main 2001. € 19,90.

Friedrich Karl Waechter: Steinhauers Fuß. Ein Märchen. 60 Seiten. Diogenes. Zürich 2001. € 25,90.