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Die andere Bibliothek
Martin Mosebach

 
Rezensionen

Martin Mosebach: Der Nebelfürst
 

Von Schiffen und Bärten
Johannes Vierfrucht

Unser Küchenchef Kasimir kann ziemlich gehässig sein. Im Moment trage ich das Objekt seines Spotts im Gesicht herum. Ja, ich beabsichtige, mir einen Vollbart wachsen zu lassen. Leider sprießt mein Barthaar nicht halb so üppig, wie es nötig wäre, weshalb mir ständig unerwünschte Tips wie, es doch einmal mit Ziegenmist und Honig als Hilfsmittel zu versuchen, zuteil werden.
Die andere Quelle meiner Trübsal ist die Tatsache, daß es mir die übermäßige Dampfentwicklung in unserer Küche zunehmend unmöglich macht, in den kurz bemessenen Pausen, bevor ein neuer Stapel verschmutzten Geschirrs in unserer gigantischen Spülmaschine verstaut werden muß, meiner Lektüre zu frönen. So sieht mein neuer Band aus der "Anderen Bibliothek", trotzdem ich ihn sorgsam in Plastikfolie eingeschlagen habe, mittlerweile schon ziemlich mitgenommen aus. Der Block ist verzogen, das Papier beginnt sich kriminell zu wellen, und auf der letzten Seite befindet sich ein unschöner Fleck. Glücklicherweise handelt es sich um ein solide gebundenes Buch, sonst hätten sich bestimmt schon einige Seiten gelöst. Aber warum setze ich diesen prachtvollen Leinenband, der mich überdies einen halben Tageslohn gekostet hat, überhaupt den Gefahren des Großküchenbetriebs im Ausflugslokal der Geschwister Erlanger aus? Was treibt mich zu solchem Tun, für das ein Attribut wie "unvernünftig" noch geschmeichelt wäre? Nun, ich bin eben rettungslos den Abenteuern eines jungen Mannes namens Theodor Lerner verfallen, von denen der von mir seit langem geschätzte Autor Martin Mosebach in seinem neuen Roman Der Nebelfürst zu berichten weiß. Besagter Lerner nämlich hat seine journalistische Karriere zwar gründlich verpatzt, doch dafür die Chance eines aberwitzigen Unternehmens geboten bekommen. Er wird zum Anführer einer Expedition zur Annektierung einer arktischen Insel. Nun merkt der Leser, im Unterschied zum ahnungslosen Helden, recht bald, daß hier um ein ausgefuchster Schwindel eingefädelt wird, doch dieser Umstand steigert nur das Vergnügen an diesem ebenso spannenden wie humorvollen Roman, der auf einer offenbar authentischen Episode der deutschen Kolonialgeschichte gegen Ende des 19 Jahrhunderts basiert. Und weil wir uns eben im Kaiserreich befinden, sind beinahe sämtliche männlichen Protagonisten mit erstaunlichen Bärten gesegnet. Vom "silbrig durchzogenen Schnurrbart" des Chefredakteurs Schoeps über den vom Morgenkaffee "übermäßig genährten Bart" des Fotografen Möllmanns bis zum "zweizipfligen Vollbart" des Korvettenkapitäns a. D. Hugo Rüdiger reichen die Varianten des haarigen Gesichtsschmucks, und selbst das eher feminie Gesicht des betrügerischen Tycoons Sholto Douglas wird von "in die Luft stechenden Augenbrauenbärten" geziert. Doch der Lerner selbst, immerhin der Anführer der Expedition, scheint bartlos. Dabei heißt es doch schon in einem alten Lied, daß auf Kaperfahrten, und um eine solche handelt es sich gewissermaßen doch auch, Männer mit Bärten gefragt seien. Kein Wunder, möchte man meinen, daß am Ende des Buches, das man mit Einschränkung ein glückliches nennen könnte, Theodor Lerners Pläne zur Eroberung fremder Welten von ganz anderem Charakter sind. Aber das muß man selbst nachlesen. Ich jedenfalls werde gleich zum Rasiermesser greifen und mir die häßlichen Fussel aus dem Gesicht schaben. Schließlich stehen die Chancen, daß ich einmal dieses verwünschte Lokal verlassen und auf große Fahrt gehen werde, ziemlich schlecht.

 

Martin Mosebach: Der Nebelfürst. Roman. 352 Seiten. Eichborn. Frankfurt am Main 2001. 54,00 DM.