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Bücherhaus Bargfeld
Peter Horst Neumann

 
Rezensionen

Peter Horst Neumann: Die Erfindung der Schere
 
Das gebrochene Wort
Rüdiger Wartusch

"Er wollte die Finsternis wiegen", heißt es in diesem Gedichtband: "Die Lichtwaage hielt er / zum Fenster hinaus. Den Arm, / den rechten, riß es ihm ab. / Linkshändig schrieb er's auf." Keineswegs ist dies mit links geschrieben; der Dichter ist ins Dunkle geklettert wie ein Höhlenforscher, "die eigne / Tiefe auszuloten", und hat gegen das Vergessen angeschrieben: "Wenn aber der Baum / zu den Blättern sagt: ich geh, / und wir hängen an ihm / und er läßt uns allein, / will ich anhänglich ungehalten / bleiben an meinem Platz / sein Gedächtnis." Die Erinnerung, auch an das Leiden, steht im Mittelpunkt, auf sie konzentriert sich die Sprache. Das Losungswort ist noch immer das "verwundbar / bleiben". Hier spricht ein im positiven Sinne Verletzlicher, ja Verletzter, der sein eigenes Licht auf die Welt wirft: "Es gilt das gebrochene Wort".
Da ist einer Professor für deutsche Literaturwissenschaft, beschäftigt sich über viele Jahrzehnte mit Dichtung, mit Gedichten zumal und der Sprache der Dichter, findet selbst eine poetische Sprache, die sich bereits in wenigen kleinen Äußerungen am Rand des wissenschaftlichen Werks kund tut - und geht erst spät mit seinem Dichtertum an die Öffentlichkeit. Zunächst in Zeitschriften wie dem Merkur, dann auch in einer lyrischen Zusammenstellung für das Bücherhaus Bargfeld (Gedichte Sprüche Zeitansagen), einer bescheidenen Form von Öffentlichkeit also, mithin lediglich unter Kennern, die sich kennen. Erst 1996 erscheint eine größere Sammlung von Gedichten Peter Horst Neumanns (Pfingsten in Babylon) und präsentiert die Erscheinung eines neuen Dichters von sechzig Jahren.
Und nun liegt mit Die Erfindung der Schere ein überschaubares Werk von drei Bändchen vor, dessen Umfang für viele kaum mehr als eine Jahresproduktion darstellt: 200 Gedichte vielleicht, viele davon aus dem ersten Band in den zweiten übernommen, manche mit kleinen, poetisch nicht unbedeutenden Änderungen veröffentlicht. Doch aus dieser Selbstbeschränkung, ja Bescheidenheit, erwächst poetische Kraft. Es ist eine "lyrische Lyrik", der man die Verbundenheit des Wissenschaftlers Neumann mit Dichterikonen wie Celan, Brecht und Eich etwa deutlich anhört - aber es ist stets eine eigene, eine objektive Stimme, die privatissime in den Dialog mit den geliebten Dichtern tritt: "Freier Vogelflug / über Eichendorffs Grab, dort / liegt seine Sprache / begraben." Ein Hauch von Melancholie umweht manches kleine Poem - und immer wieder der Mythos der Sprache, ängstlich, aber hoffnungsvoll: "mein Fallschirm / mein Gedicht", hieß das damals, und heute: "erschriebne Welt / erlesne Wirklichkeit". Auch hier auf der Wortebene diese gnomische Kürze und Zurückhaltung; das Spruchhafte wird auf leichteste Weise verdichtet. "Ins Blaue / geschrieben", wie der Ruf der Lerche, sind diese Verse sicherlich nicht. Das Schwere und das Leichte vereinen sich hier im Wort.
A part gesprochen und pro domo: Ich gestehe, ich bin nicht immer glücklich mit den Änderungen der Gedichte, d. h., weil ja die Chronologie nicht eindeutig ist, mit den Buchfassungen. Das Gedicht mit Divan-Bezug, wie es in der 8. Ausgabe der Zeitschrift Griffel abgedruckt ist, weicht von der hier vorliegenden Form deutlich ab, beide aber können nebeneinander stehen; bei dem Gedicht Christliche Kunst hingegen scheint mir die Fassung aus Griffel 7 ("Auf einem / der Bilder, nackt, / hab ich mich / zweimal erkannt, / in den beiden Schalen / der Waage.") poetisch schlüssiger zu sein als diese ("nackt" nach "erkannt"). Und, jetzt greife ich auf ein Typoskript zurück, Klaus Kinskis Versuch, "der Garderobiere Männlichkeit zu beweisen", ist wohl dem Dichter Peter Horst Neumann gemäßer; Kinski entsprach das "die Garderobiere zu vögeln" ganz sicher besser.

 

Peter Horst Neumann: Die Erfindung der Schere. Gedichte. 80 Seiten. Bücherhaus Bargfeld 1999. 26,00 DM