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Rezensionen zum "Krimisamstag"
von Joachim Feldmann. Aus dem "Titel-Magazin".
Diese Rezensionen sind gemeinsam mit dem Erfinder
des "Krimisamstags" Thomas Wörtche
beim Titel-Magazin ausgezogen und finden nun beim Erker Unterschlupf. |
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: Tödlicher
Sog (Pyörre, 2008).
Thriller. Aus dem Finnischen von Stefan Moster. München:
DTV 2010. 458 Seiten. € 14,90.
Dass auch im Staate Schweden
so manches faul ist, weiß das deutsche Krimipublikum
nicht erst seit die voluminösen Schmöker eines
Stieg Larsson die Bestsellerlisten erobert haben. 1968
erschien in Rowohlts legendärer Thriller-Reihe unter
dem Titel Die Tote im Götakanal die Übersetzung des Romans Roseanna (1965),
in dem ein Kriminalbeamter namens Martin Beck seinen ersten
Auftritt hatte. Das Autorenpaar Maj Sjöwall und Per
Wahlöö hatte sich, angeregt durch die von ihm übersetzten
Romane Ed McBains um das 87. Polizeirevier, entschlossen,
eine vergleichbare Serie in Schweden anzusiedeln. War der
Auftakt noch ein verhältnismäßig konventionell
angelegter Kriminalroman, so entwickelte sich die Reihe
in den folgenden neun Bänden
zu einer geharnischten Abrechnung mit den Schattenseiten
des schwedischen Wohlfahrtsstaates und begründete
damit eine bis heute andauernde Tradition sozialkritischer
Aufklärung im Medium der Spannungsliteratur.
Nun ist es kein Geheimnis, dass das kleine friedliebende
Land im Norden Europas eine hocheffiziente Rüstungsindustrie
unterhält und auf Platz 9 der weltweit größten
Waffenexporteure steht. (Der Vollständigkeit halber
sei erwähnt, dass Deutschland
den dritten Rang auf dieser unrühmlichen Liste einnimmt.)
Diesem peinlichen Aspekt der schwedischen Politik widmet
sich der finnische Thrillerautor Ilkka Remes in seinem neuen
Roman Tödlicher Sog. Zentraler Bezugspunkt der
spannend aufbereiteten Handlung ist der bis heute nicht wirklich
aufgeklärte Untergang der Fähre 'Estonia' im Jahre 1994. Die mit 852
Toten schwerste Schiffskatastrophe in der europäischen
Nachkriegsgeschichte birgt noch immer etliche Rätsel,
und die Lektüre von Remes'
Buch erweckt den Eindruck, dass einflussreiche Kräfte
ein großes Interesse daran haben, dass dies auch so
bleibt.
Als gesicherte Erkenntnis gilt allerdings inzwischen, dass
die Fähre benutzt wurde, um Rüstungselektronik und andere
militärische Güter aus dem Einflussbereich der früheren Sowjetunion
nach Schweden zu transportieren.
Geschäften dieser Art kommt der Sicherheitsunternehmer
Tero Airas aus Helsinki auf die Spur, als er versucht zu
beweisen, dass sein Sohn Roni, ein vielversprechender Rennfahrer,
unschuldig am Tod seiner ehemaligen Freundin Julia ist. Das
ist alles andere als einfach, denn Roni hat sich am Abend
der Tat mit Julia gestritten und ist sogar gewalttätig
gegen sie geworden. Doch umgebracht hat er sie nicht, das
beteuert er inständig,
und sein Vater glaubt ihm. Was dieses Verbrechen mit dem
Untergang der Estonia und den schmutzigen Geschäften,
in die internationale kriminelle Organisationen ebenso verwickelt
sind wie der schwedische Geheimdienst, zu tun hat, soll an
dieser Stelle nicht rekonstruiert werden. Ilkka Remes versteht
es nämlich glänzend, die unterschiedlichen Handlungsstränge
des Romans zu einem verblüffenden Plot zu verknüpfen.
Dass er dabei Sensationalismen à la Stieg Larsson
vermeidet, ist ein weiterer Pluspunkt des Romans. Die Identifikationsfiguren
in i sind keine Comic-Superhelden,
sondern relativ unspektakuläre Zeitgenossen mit menschlichen
Schwächen,
die gezwungen sind, sich gegen widrige Umstände zu
behaupten. Auch die Schar der Schurken zeichnet sich weniger
durch diabolische Züge als durch ein nüchternes
Geschäftsgebaren aus. Wer also
auf unterhaltsame Weise wieder einmal davon überzeugt
werden will, dass das Paradies auf Erden auch weiterhin ein
frommer Wunsch bleiben wird, ist mit diesem beachtlichen
Thriller bestens bedient. |
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: 12
Stunden Angst (Third Degree, 2008). Roman. Aus
dem Amerikanischen von Axel Merz. Bergisch-Gladbach:
Bastei-Lübbe 2009. € 9,99.
: Der
Pfahlmörder. Roman. Bielefeld: Pendragon 2010.
300 Seiten. € 10,95.
Neulich erzählte der 1977 geborene
Romanautor Thomas Klupp in der Zeit, dass er dreimal versucht habe, Döblins Berlin
Alexanderplatz zu lesen, aber nie über die Seite 43 hinausgekommen
sei. Ihn habe vor allem gestört, dass "eingangs berichtet
wird, was auf den folgenden Seiten passiert, wie es endet
und was die Moral von der Geschichte ist". Als ich am vergangenen
Freitag irgendwo um Seite 50 herum die Lektüre eines so
genannten Thrillers abbrach, hatte ich keine Ahnung, wie
das Buch zu Ende gehen würde. Es war mir auch vollkommen
egal. Der amerikanische Autor Greg Iles lässt, glaubt man
dem deutschen Titel des Romans, seine Heldin, eine Sonderschullehrerin
namens Laurel, 12 Stunden Angst durchleben. Ein Wunder
ist das nicht, schließlich fuchtelt Gatte Warren mit einem
Revolver vor ihrer Nase herum, um herauszubekommen, wer
denn der Liebhaber seiner Gemahlin ist. Leider fehlte es
mir am nötigen Langmut, um den beiden bei dieser handfesten
Verarbeitung einer Ehekrise Gesellschaft zu leisten, handelt
es sich doch um in jeder Hinsicht uninteressante Figuren.
Auch Lover Danny - wir Leser wissen natürlich mehr als
der gehörnte Ehemann - ist nicht gerade ein Typ, den man
näher kennenlernen möchte.
Die Aussicht, noch ungefähr 400 Seiten, also mindestens
zwei bis drei Stunden Lesezeit, mit diesen Pappkameraden
zu verbringen, schien mir wenig reizvoll, also griff ich
beherzt zu einem neuen Krimiprodukt aus dem mörderischen
Ostwestfalen. Das Romandebüt des Bielefelders Hans-Jörg
Kühne ist laut Verlagswerbung "nichts für
schwache Nerven".
Das mag sein. Außerdem ist Der Pfahlmörder,
obwohl der Autor sich bemüht, seine blutrünstige
Geschichte in einem sarkastisch-coolen Erzählton zu
präsentieren, ziemlich
langweilig. Grausam zugerichtete Mordopfer und ein schnoddriger
Hypochonder als Ermittler können über die Abwesenheit
einer Handlung eben nur schlecht hinwegtäuschen. Dieses
Urteil würde ich allerdings mit größerer
Überzeugung abgeben, hätte ich das Treiben des "Pfahlmörders" über
die gesamte Länge des Romans, und das sind immerhin
rund 300 Seiten, verfolgt. Doch auch hier musste ich aufstecken.
Schon der leicht holprige Stil des ersten Absatzes ließ mich
nur missmutig weiterlesen. Leiche Nummer eins, ein Zahnarzt,
der im eigenen Behandlungsstuhl auf üble Weise zu
Tode gebracht wurde, nahm ich noch zur Kenntnis, um mich
dann mit einem raschen Blick auf die letzten Seiten zu überzeugen,
dass man auf die Lektüre des umfangreichen Mittelstücks
guten Gewissens verzichten kann. Zu gerne würde ich
an dieser Stelle die Identität des Pfahlmörders preisgeben,
allein um zu zeigen, dass dieses Buch auch als Genreparodie
nur wenig taugt. Aber das tut man ja nicht. Und darum lasse
ich's auch. |
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: Lieder
der Unschuld (Songs
of Innocence, 2007). Roman. Deutsch von Conny Lösch.
Berlin: Hard Case Crime bei Rotbuch 2009. 283 Seiten. € 9,90.
In einem früheren Leben arbeitete John Blake als Privatdetektiv.
Vor drei Jahren hat er diesen Job an den Nagel gehängt.
Jetzt ist der Absolvent eines literaturwissenschaftlichen
Studiums Angestellter des Fachbereichs für Kreatives
Schreiben an der New Yorker Columbia University und besucht
nebenher Seminare. Als eine Kommilitonin tot aufgefunden
wird, beginnt er, auf eigene Faust zu ermitteln. Zwar deuten
alle Indizien auf Selbstmord, doch Blake glaubt, dass seine
Freundin Dorrie umgebracht wurde. Hätte sie tatsächlich
Suizidpläne
gehabt, davon ist er überzeugt, hätte sie ihn
vorher benachrichtigt, damit er anschließend alle
Hinweise auf ihr Doppelleben beseitigen könnte. Denn
Dorrie arbeitete nebenher als Prostituierte, und das sollte
ihre Familie keinesfalls erfahren.
Nun ist John
Blake ein derartig miserabler und unprofessioneller Ermittler,
dass man sich kaum vorstellen mag, wie er als Privatdetektiv
seinen Lebensunterhalt verdiente. Seine ersten Nachforschungen
im Prostituiertenmilieu fördern zwar noch einige wichtige
Informationen zutage, doch sobald er in eine Konfliktsituation
gerät, scheint der junge Mann den Überblick zu
verlieren. Dazu gesellt sich eine ungute Neigung zu spontanen
Handlungen. Kaum hat er erfahren, dass der ungarisch-stämmige
Gangster Black Ardo, dessen Einkünfte vor allem auf
illegaler Prostitution beruhen, nicht zimperlich ist, wenn
es darum geht, unliebsame Konkurrenz aus dem Wege zu räumen,
wählt
Blake den Weg der direkten Konfrontation. Er marschiert
in eine ungarische Bar, stellt sich auf einen Stuhl und
verlangt, Ardo zu sprechen, der natürlich nicht
lange auf sich warten lässt. Wie erwartet, bezieht
unser dilettantischer Held eine gehörige Tracht
Prügel. Und er provoziert,
ohne es zu ahnen, einen brutalen Mord, in dessen Konsequenz
er selbst ins Visier der Polizei gerät und untertauchen
muss.
Aber wäre John Blake nicht so ein stümperhafter
Detektiv, könnte man Lieder der Unschuld (der
Titel bezieht sich auf William Blakes Gedichtzyklus "Songs
of Innocence" von
1789), den zweiten Kriminalroman des amerikanischen Autors
Richard Aleas, getrost all den anderen durchschnittlichen
Produkten des Genres zuschlagen. Doch dieses tiefschwarze,
vom Ermittler selbst vielleicht ein wenig zu pathetisch
erzählte Epos von verlorener Unschuld und fehlgeleitetem
Heroismus ist vor allem an der nachhaltigen Verstörung
seiner Leser interessiert. Dabei nicht das Ausmaß des,
zugegeben scheußlichen, Ur-Verbrechens, das zur Katastrophe
für alle Beteiligten wird, am schockierendsten, sondern
die ästhetisch vermittelte Erkenntnis, dass jeder
Rettungsversuch vergeblich ist. Wenn Blake zum ersten Mal
bei den ehemaligen Kolleginnen seiner toten Freundin ermittelt,
ist er noch ein wenig erstaunt über deren militant
sich artikulierendes Misstrauen. Wer das Buch zu Ende liest,
weiß, dass es überhaupt
keinen Anlass gibt, überhaupt noch irgendjemandem
zu vertrauen. Wenn John Blake, auf der Flucht vor der Polizei
und Ardos Gefolgsleuten, irgendwann im letzten Drittel
des Buches mit kahlrasiertem Schädel im tiefsten U-Bahnschacht
New Yorks sitzt, wo ihm nur ein delirierender Stadtstreicher
Gesellschaft leistet, ist er auch physisch dort angelangt,
wo er mental seit langem war.
Richard Aleas ist das Pseudonym des 1969 geborenen Charles
Ardai, der die (in deutscher Übersetzung teilweise
bei Rotbuch erscheinende) Reihe Hard Case Crime gegründet
hat. Hier findet man, in liebevoller Retro-Aufmachung,
neben Noir-Klassikern von Ed McBain, Richard Stark und
Lawrence Block auch aktuelle Romane, die sich die finstere
Weltsicht des Genres zu eigen gemacht haben. Lieder
der Unschuld zeigt, dass sich das ästhetische
Potential der 'Pulp Fiction' noch lange nicht erschöpft hat. |
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: Pekinger
Passion. Kriminalnovelle. Zürich/Hamburg:
Arche 2008. 126 Seiten. € 16,-.
Ein Schüler verliebt sich in eine
junge schöne Lehrerin,
die in der Parallelklasse Geschichte unterrichtet. Seine
Gefühle muss er für sich behalten, dennoch versucht
er, ihr näherzukommen. Auf einem Schulausflug kommt
es zu einer kurzen erotischen Begegnung, die den jungen
Mann verstört zurücklässt. Seine Verzweiflung
nimmt zu. Er schickt seiner Angebeteten Briefe und Gedichte,
Zeugnisse einer todessüchtigen Phantasie, die sich
mit extremer Eifersucht mischt, als er die Lehrerin zusammen
mit einem älteren
Mann sieht. Selbstmordgedanken werden verworfen, stattdessen
lauert er der Frau in einem Park auf und versucht, sie
zu vergewaltigen. Dann bringt er sie um und zerschneidet
die Leiche in Stücke, die er in der Umgebung verteilt.
Leicht kommt die Polizei auf seine Spur, denn die Lehrerin
hat all seine Briefe und Gedichte aufbewahrt. Er gesteht
das Verbrechen, wird zum Tode verurteilt und hingerichtet.
Doch das vermeintliche Mordopfer taucht zwanzig Jahre später
wieder auf. Wer also war die Tote, deren Körperteile
im Park gefunden wurden? Warum hat der siebzehnjährige
Teng Xingshan eine Tat gestanden, die er offenkundig nicht
begangen hat?
Es war die Meldung einer chinesischen Nachrichtenagentur,
die den Schweizer Erzähler Jürg Amann die Idee
zu seiner Kriminalnovelle "Pekinger Passion" geliefert
hat. In fünf
Protokollen versucht er, dem unerhörten Ereignis literarische
Form zu verleihen. Auf die Wiedergabe der Zeitungsnotiz
folgen das Geständnis des "Täters",
eine Stellungnahme der Mutter des "Mordopfers" und
Berichte von Polizei und Staatsanwaltschaft. Im letzten
Kapitel schildert die ehemalige Lehrerin ihre Sicht der
Ereignisse. Das heißt, sie fügt
den vorhergehenden Aussagen eine erklärende Variante
hinzu, deren Wahrheitsgehalt allerdings zweifelhaft bleibt. "Was
ist schon Wahrheit?", lautet dementsprechend der letzte
Satz dieses erzählerischen Kabinettstückchens,
dessen sachlicher Ton in bemerkenswertem Widerspruch zu
der im Titel proklamierten Leidenschaft steht. "Es
kostete mich einige Mühe, aber
am Ende hatte der Verstand über die Vorstellung gesiegt",
sagt Teng Xingshan, wenn er erläutert, warum er, statt
sich umzubringen, den Überfall im Park geplant habe.
Auch die Berichte der anderen Beteiligten weisen kaum sprachliche
Unterscheidungsmerkmale auf, so dass bereits eine leicht
flapsige Wendung wie "Da würde mir auch kein
Zacken aus der Krone brechen", die dem wieder aufgetauchten "Mordopfer"
in den Mund gelegt wird, ins Auge fällt.
Von makabrer Komik sind andere Details. "Meine Xiaorong,
die verschwunden war, von der ich nichts wusste, da war
sie wieder, das war sie, lag sie vor mir, wenn auch in
Stücken", erinnert sich die Mutter der angeblich Ermordeten,
während der Staatsanwalt darauf hinweist, dass die Gedichte
des mutmaßlichen Täters laut Gutachten "von einiger Qualität"
waren.
Literarische Qualität beansprucht auch dieses Buch für
sich, und zwar vor allem, indem es eine deutliche Grenze
zu dem markiert, was der Autor offenbar für die typischen
Eigenschaften des Krimigenres hält. Die von Xiaorong am
Ende referierte Auflösungsvariante beispielsweise könnte
nämlich problemlos als Plot eines durchschnittlichen Spannungsromans
herhalten. Doch darum ging es Amann nicht. Seine Kriminalnovelle
erkundet auf ungewöhnliche Weise die Abgründe des menschlichen
Vorstellungsvermögens und fördert dabei vor allem weitere
Rätsel zutage. Und weil es gemeinhin als große Kunst gilt,
scheinbar triviale Stoffe durch eine traditionsreiche literarische
Form zu adeln, hat sich dieses Büchlein die entsprechende
Anerkennung redlich verdient. |
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: Weiße
Stille (Blood Runs Cold, 2008). Roman.
Deutsch von Karin Meddekis. Bergisch-Gladbach:
Bastei-Lübbe 2009. 381 Seiten. € 16,95.
Am Ende geht alles ganz schnell. Quasi
im Eilverfahren klärt die irische Thriller-Autorin
Alex Barclay all die rätselhaften Verbrechen auf, über
deren Hintergründe sie
uns auf den ersten 330 Seiten ihres dritten Romans Weiße
Stille gezielt im Dunkeln gelassen hat. Stattdessen
dürfen
wir Dialoge wie den folgenden lesen: "'Hier einen Parkplatz
zu finden ist Glücksache', sagte Bob. Er fuhr
zum zweiten Mal die Main Street hinauf und bog dann links
in die Jefferson Avenue ein. 'Das kann ein Weilchen
dauern.' 'Da vorne ist
was frei', sagte Ren und zeigte auf einen freien
Parkplatz auf der anderen Straßenseite. 'Stramme
Leistung.' Bob warf
einen Blick dorthin. 'Genau vor der Eingangstür
einer Arztpraxis.'
'Oh ...' 'Ja, dann müssen wir wohl
weitersuchen.' 'Dann
nehmen wir eben den Parkplatz an der Kirche und gehen zu
Fuß.' Bob fuhr um den Block herum. 'Eine
Runde drehen wir noch ... da, sehen Sie? Ein Parkplatz
genau vor dem Restaurant.' 'Stramme Leistung.' Ren lächelte."
Dieses Lächeln wird der psychisch eh nicht sehr stabilen
FBI-Beamtin Ren Bryce noch vergehen, wenn sie nämlich in
dem schmierigen Restaurant, das sie gemeinsam mit dem örtlichen
Sheriff aufsucht, einen Cheeseburger bestellt. Aber blenden
wir uns kurz aus dem unerfreulichen Berufsalltag einer
amerikanischen Bundespolizistin aus und wenden uns einem
der Fälle zu, mit denen sie betraut ist. In einem Skigebiet
im amerikanischen Bundesstaat Colorado ist eine Frauenleiche
aufgetaucht, offenbar das Opfer eines Gewaltverbrechens.
Dummerweise ist die Tote unter einer Schneelawine verschwunden,
ehe sie von der Polizei geborgen werden kann. Doch Indizien
helfen, ihre Identität zweifelsfrei zu ermitteln. Es handelt
sich um Jean Transom, die wie Ren Bryce für das FBI arbeitete.
Aber niemand scheint zu wissen, was sie in die Bergwelt
Colorados geführt hat. Und auch die örtliche Polizei erweist
sich als wenig hilfreich. Die Ermittlungsergebnisse bleiben
entsprechend spärlich. Zumal Transom offenbar nicht die
einzige Person ist, die in den letzten Jahren in der Gegend
verschwunden ist.
Das ist schon der Stoff, aus dem man Thriller schneidert,
doch leider scheinen Alex Barclay die dazu notwendigen
handwerklichen Fähigkeiten irgendwie abhanden gekommen
zu sein. So wird ein bei allen genretypischen Ungereimtheiten
durchaus ansehnlicher Plot unter einem Wust von Dialogen
der oben zitierten Art förmlich begraben. Das bedeutet
harte Arbeit für Leser, ohne dass diese entsprechend
entlohnt würde. Ein Problem, vor dem offenbar auch
kapituliert hat, wer den folgenden, bemerkenswert kryptischen
Klappentext verfasste: "Das beliebte Skigebiet Breckenridge
ist ein Urlaubsidyll - bis auf einem Gletscher die
schneebedeckte Leiche einer Frau gefunden wird. Die FBI-Agentin
Ren Bryce
übernimmt die Ermittlungen. Scheinbar ein Routinefall.
Doch Ren hat ein psychisches Problem. Aber davon weiß niemand.
Eines Morgens findet man sie neben ihren erschossenen Kollegen
auf - mit der Mordwaffe in der Hand. Hat Ren tatsächlich
ihr ganzes Team auf dem Gewissen? Und warum verschweigt
sie, dass die Tote auf dem Gletscher ihre Freundin war?"
Nur die ersten vier Sätze dieser Inhaltsangabe haben
tatsächlich
etwas mit der Handlung dieses seltsamen Romans zu tun,
der Rest ist frei erfunden.
Aber vielleicht ist diese falsche Produktinformation gar
kein Versehen, sondern Teil einer abgefeimten ästhetischen
Strategie mit dem Ziel, dem spannungshungrigen Konsumenten
zielgruppenorientierter literarischer Konfektionsware die
Lektüre nachhaltig zu vermiesen. Dann nämlich handelte
es sich bei diesem Paperback der "Thriller-Queen aus Irland",
wie das Börsenblatt Alex Barclay nannte, nicht einfach
um einen misslungenen Kriminalroman, sondern um Konzeptkunst
mit didaktischem Effekt. Und ich wäre tief beeindruckt. |
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: Land
der guten Hoffnung. Roman. Bielefeld:
Pendragon 2010. 287 Seiten. € 10,95.
Im Herbst 2003 reist Friedrich Wilhelm Tempow im Auftrag
des reichen Reeders Carsten nach Südafrika. Der Privatdetektiv,
dessen Spezialgebiet es ist, Menschen auch gegen deren
Willen ausfindig zu machen, soll den Mann aufspüren, der
vor einigen Jahren Carstens Tochter Rena entführt und ein
Lösegeld in Millionenhöhe erpresst hat. Schon bald merkt
Tempow, dass sich auch andere Parteien für den Fall interessieren.
Noch in Deutschland heftet sich ein Verfolger an seine
Fersen, und nach seiner Ankunft in Südafrika wird er offenbar
von einer jungen Frau beschattet. Doch das irritiert ihn
wenig. Als routiniertem Ermittler gelingt es Tempow relativ
schnell, dem mutmaßlichen Täter auf die Spur zu kommen.
Bevor er ihn allerdings tatsächlich ausfindig machen kann,
stirbt eine seiner Kontaktpersonen unter mysteriösen Umständen.
Und seine Verfolgerin entpuppt sich als Rena Carsten, die
ein ureigenes Interesse hat, ihren Entführer wiederzusehen.
Nichts ist, wie es zunächst scheint, in diesem Roman. Tempow,
der auch als Ich-Erzähler souveräner wirkt, als er es
tatsächlich ist, wird zum Spielball in einem groß angelegten
Täuschungsmanöver. Erst spät erfährt er, wer wirklich
hinter der Entführung steckte. Und plötzlich sieht er
sich mit einer Geschichte konfrontiert, die bis in die
Zeit der Apartheid zurückreicht. Aus früheren Gegnern
sind Komplizen geworden, die ihre im bewaffneten Kampf
erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten nun gewinnbringender
einsetzen wollen. Auf der anderen Seite steht die so
genannte Wahrheitskommission, deren Versöhnungsarbeit
darauf beruht, dass man die Toten (im wahrsten Sinne
des Wortes) eben nicht ruhen lässt.
Auf poetische Gerechtigkeit jedoch wartet man vergebens.
Zwar überlebt der Hauptschurke das Ende des Romans
nicht, doch die Welt, die hier geschildert wird, ist mitnichten
wieder in Ordnung. In der Firma bleibe alles beim Alten,
versteht es sein ehemaliger Geschäftspartner, zweifelnde
Mitarbeiter zu überzeugen. Und Tempow, der diese Geschichte
erzählt, ohne moralisch zu urteilen, erspart sich
auch hier einen Kommentar. Wer diesen bemerkenswerten Spannungsroman
liest, weiß, warum das nicht nötig ist. |
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: Falsches
Herz (The Girl With the Long
Green Heart, 1965 & 2005). Roman. Deutsch von Andreas C.
Knigge. Berlin: Rotbuch Verlag 2009. 218 Seiten. € 9,90.
Johnny Hayden ist ein guter Lügner, denn es macht ihm
einfach Spaß, erfundene Geschichten zu erzählen. Hätte
er sein Jurastudium zum Abschluss gebracht, wäre ihm diese
Fähigkeit vielleicht auch gut zupass gekommen, für die
Laufbahn jedoch, die er einschlug, als er nach einer vergeigten
Zwischenprüfung die Uni verlassen musste, ist sie essentiell.
Johnny Hayden ist ein gewerbsmäßiger Betrüger. Mit erschwindeltem
Schmerzensgeld fing es an, später ließ er sich andere Tricks
einfallen, und irgendwann landete er für sieben Jahre in
St. Quentin. Nun arbeitet er auf einer Bowlingbahn und
träumt davon, ein Hotel zu kaufen. Weil er aber weiß, dass
sich das nötige Kapital kaum mit sogenannter "ehrlicher
Arbeit" beschaffen lassen wird, besinnt er sich rasch auf
sein altes Talent, als ihm Doug Rance, ein Kumpan aus vergangenen
Zeiten, einen verführerischen Geschäftsplan vorlegt. Ein
reicher Mann soll zum Opfer seiner eigenen Gier werden,
ein Vorhaben, das einen erheblichen logistischen Aufwand
erfordert.
Büroräume, Briefpapier, Angestellte: Das fiktive Unternehmen
Barnstaple muss schon nach etwas aussehen, sonst wird Wallace
Gunderman nicht anbeißen. Zu ihrem Glück haben die beiden
Ganoven in der Sekretärin und Geliebten des kapitalkräftigen
Immobilienunternehmers eine Verbündete. Enttäuscht, dass
ihr Chef sie nach dem Tod seiner Ehefrau nicht geheiratet
hat, sinnt sie auf Rache und versorgt Hayden und Rance
mit den notwendigen Informationen, um den Coup gelingen
zu lassen. Gunderman, dem schon einmal von Betrügern wertloser
Grundbesitz in Kanada angedreht worden ist, sehnt sich
danach, diese Scharte auszuwetzen. Und eben das macht ihn
zum idealen Opfer der von Rance bereits bis ins Detail
geplanten Scharade.
Lawrence Block, berühmt für seine Romane um den
alkoholkranken Privatdetektiv Matthew Scudder, hat sein
Gaunerepos The
girl with the long green heart 1965 veröffentlicht.
Zwei deutsche Ausgaben folgten kurze Zeit später.
Jetzt liegt der ebenso kühl erzählte wie elegant
konstruierte Roman neu übersetzt in Rotbuchs Retro-Reihe "Hard
Case Crime"
unter dem Titel Falsches Herz vor. Und scheint angesichts
der Merkwürdigkeiten, die wir in der Welt der Finanzen
beobachten können, eigentümlich aktuell. Wenn
man sieht, was Rance und Hayden unter relativ primitiven
technischen Bedingungen anzurichten verstehen, lässt
sich unschwer vorstellen, wie die beiden von den weltweiten
Kommunikationsmöglichkeiten
des Internets profitieren würden.
Natürlich geht das Betrugsmanöver nicht reibungslos
vonstatten. Die Profis müssen feststellen, dass Amateure
manchmal nicht nur gerissener, sondern vor allem skrupelloser
sein können.
Die Botschaft dieses verblüffend unmoralischen Kriminalromans
ist also mitnichten, dass sich Verbrechen nicht lohnen
würde, denn selbst die betrogenen Betrüger können
ihre Bilanz mit einem achtbaren Plus schließen. Und
wir Leser dürfen uns fragen, warum wir das Buch jetzt
mit einem seltsamen Gefühl der Befriedigung zuklappen. |
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: Mörderischer
Abschied (Three
weeks to say goodbye, 2009). Thriller. Deutsch von
Bernhard Liesen. München:
Heyne 2009. 415 Seiten. € 8,95.
Die Erfüllung ihres Kinderwunsches hat die McGuanes eine
Menge gekostet. Doch dafür sind sie glücklich. Ihre Adoptivtochter
Angelina, die sie direkt nach der Geburt zu sich nehmen
konnten, ist ein problemloses, fröhliches Baby. Um so größer
ist der Schock, als sich neun Monate später eine Angestellte
der Vermittlungsagentur bei ihnen meldet. Der leibliche
Vater habe nie die Einverständniserklärung zur Adoption
unterschrieben und bestehe nun auf dem Sorgerecht. Das
heißt, Angelinas 18-jährigem Erzeuger ist das Schicksal
des Mädchens wahrscheinlich herzlich gleichgültig, hinter
der Forderung steckt dessen Vater, und bei diesem handelt
es sich ausgerechnet um den ebenso mächtigen wie wohlhabenden
Richter John Moreland, der keinen Zweifel daran lässt,
dass den McGuanes keine andere Wahl bleibt, als auf sein
Angebot, eine großzügige Entschädigung für die entstandenen
Kosten zu leisten, einzugehen.
Selbstverständlich entschließt sich die Familie
zu kämpfen,
allein damit die Handlung in C. J. Box' in mancher
Hinsicht außergewöhnlichem Thriller Mörderischer
Abschied in die
Gänge kommt. Jack McGuane, der als Angestellter im
städtischen Fremdenverkehrsamt von Denver, Colorado, nicht gerade üppig
verdient, kann sich einen ausgewachsenen Rechtsstreit schlicht
nicht leisten. Aber er hat Freunde, unter ihnen den zwar
ziemlich versoffenen, aber ausgesprochen findigen Polizisten
Cody Hoyt. Dieser hat allerdings momentan selbst Probleme
genug, da die von ihm erbrachten Beweismittel zur Überführung
eines mehrfachen Kindermörders vor Gericht nicht standhalten.
Der Richter, es handelt sich um niemand anderen als John
Moreland, muss den Angeklagten laufen lassen. Zumindest
sieht es so aus, als ob ihm angesichts der Argumente des
Verteidigers keine andere Wahl bliebe.
Inwieweit das eine mit dem anderen zusammenhängt, bringt
Hoyt im Verlauf der Romanhandlung ans Tageslicht, während McGuane, der gleichzeitig
als Ich-Erzähler fungiert, immer stärker in die Rolle des
wehrlosen Opfers gerät. Die strikt eingehaltene Beschränkung
der Perspektive führt dazu, dass dem Leser wesentliche
Phasen des Aufklärungsprozesses verborgen bleiben, um am
Ende mit regelrechtem Knalleffekt präsentiert zu werden.
Wer sich dafür wappnen will, tut gut daran, ein ehernes
Gesetz dieses Genres während der Lektüre im Kopf zu behalten,
nämlich dass die schlimmstmögliche Vermutung die höchste
Wahrscheinlichkeit besitzt. Es empfiehlt sich ebenfalls,
allzu strenge Ansprüche an die Logik einer Romanhandlung
zeitweise zu suspendieren. Doch das tut dem eigentlichen
Gehalt dieses Buches keinen Abbruch. Jack McGuane wird
mit dem bedingungslos Bösen auf eine Weise konfrontiert,
die ihn in einem Maße gewalttätig werden lässt, wie er
es von sich nie erwartet hätte.
Wer mag, kann in Mörderischer Abschied eine
Apologie der Selbstjustiz sehen. Es gibt hinreichend Indizien
in diesem Roman, die eine solche Lesart nahelegen. Es
lohnt sich aber auch zu beobachten, wie sich die Hauptfigur
im Verlauf ihrer betont berichtartig gehaltenen Erzählung
selbst dekonstruiert. Der Griff zum Colt des Großvaters
nach der ersten Begegnung mit Moreland bleibt zwar keine
rein symbolische Geste, erweist sich aber letztendlich
im Kontext der Handlung als wirkungslos. Die Drecksarbeit
erledigt Cody Hoyt. Jack McGuane zählt ihn im Schlusskapitel
des Romans zu den "gute(n), hilfsbereiten Menschen",
die ihn davon abhielten, den Glauben an die Menschheit
zu verlieren. Das sollte zu denken geben. |
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: Todeszone (Freefire,
2007). Thriller. Deutsch von Andreas Heckmann. 445
Seiten. München:
Heyne 2009. 448 Seiten. € 8,95.
Der 1871 gegründete Yellowstone Nationalpark im mittleren
Westen der Vereinigten Staaten ist eine Touristenattraktion
ersten Ranges. Auf knapp 9.000 Quadratkilometern finden
sich mehr als 10.000 geothermische Quellen sowie Canyons
und Wasserfälle. Diese Wunderwelt verdankt sich dem Umstand,
dass die Erdkruste hier besonders dünn und rissig ist.
Oder, wie es der zum Apokalyptiker mutierte frühere Umweltaktivist
Dr. Keaton den Gästen der Mitarbeiterbar des Mammoth Hotels
erklärt: "Wir trinken unser Bier inmitten einer riesigen
Caldera." Mit diesem Begriff bezeichnet man eine Vulkansenke
oder, wie Keaton es ausdrückt "die Mitte eines schlafenden
Vulkans". Und wenn der ausbreche, schreckt der Untergangsprophet
seine Zuhörer, werde er sofort drei Millionen Menschen
töten - alle Lebewesen im Umkreis von gut dreihundert Kilometern.
"Asche wird den Kontinent bedecken, Tier und Menschen ersticken
und alle Flüsse verstopfen. In New York wird nuklearer
Winter herrschen, das globale Klima wird sich radikal verändern,
und eine plötzliche böse Eiszeit wird über die Erde kommen."
Man kann verstehen, dass dem Wildhüter Joe Pickett angesichts solcher Vorhersagen
sein Bier bitter wird. Ein Spezialauftrag des Gouverneurs
hat ihn von seinem üblichen Einsatzort in Saddlestring,
Wyoming, nach Yellowstone verschlagen. Es gilt den Mord
an vier Angestellten des Nationalparks aufzuklären. Das
dürfte angesichts der Tatsache, dass bekannt ist, wer die
jungen Leute kaltblütig erschossen hat, nicht so schwierig
sein. Doch der Täter schweigt sich über sein wahres Motiv
aus. Außerdem erweist es sich als unmöglich, ihn für sein
Verbrechen zur Rechenschaft zu ziehen, obwohl er freimütig
ein Geständnis abgelegt hat.
Denn eine Gesetzeslücke macht es unmöglich,
in einem bestimmten Teil des Parks begangene Straftaten
zu ahnden. Es würde
zu weit führen, die komplizierte Rechtslage, die
für dieses
Schlupfloch verantwortlich ist, im Detail zu erklären,
aber es ist sicher, dass der amerikanische Thrillerautor
C. J. Box die Basis des Plots für seinen neuen Roman Todeszone genau
recherchiert hat. Eine Nachbemerkung weist darauf hin,
dass auch in diesem Teil der USA der Zustand praktischer
Gesetzlosigkeit bald ein Ende haben wird. Zumindest
in der Theorie. Denn der Roman lässt keinen Zweifel
daran, dass es Situationen gibt, in denen die Gerechtigkeit
keine Chance hat, sich auf legalem Wege durchzusetzen.
C. J. Box' Joe-Pickett-Romane können ihre Verwandtschaft
zum Western nicht leugnen. Dazu trägt nicht nur
der rustikale Schauplatz bei, auch ihre Helden, der Wildhüter
Pickett und sein raubeiniger Kumpan Nate Romanowski,
der immer im rechten Moment die Flinte parat hat, würden
sicherlich eine gute Figur machen, wenn es darum ginge,
Dodge City oder Tombstone aus der Hand schießwütiger
Revolverhelden zu befreien. In Todeszone jedoch
geht es um mehr. Hinter den Morden stecken ausgeprägte
wirtschaftliche Interessen. Zwar gelingt es Pickett,
einige der Drahtzieher dingfest zu machen, doch scheint
es so, als ob manch wahrer Schurke nur aufgrund seines
hohen politischen Amtes unbehelligt bleiben wird.
Die Veröffentlichung von Todeszone (im Original Free
Fire) ist der zweite Versuch, die sehr
amerikanische Thriller-Reihe um den eigenwilligen Joe
Pickett bei uns zu etablieren. Deren Erstling Keine
Schonzeit (Open Season) erschien bereits 2003
bei Blanvalet, verkaufte sich aber trotz guter Kritiken
eher mäßig. Dies mag der
Grund sein, weshalb Heyne nun mit der Übersetzung
des in den USA sehr erfolgreichen achten Bandes beginnt
und verspricht, die Vorgänger bald folgen zu lassen.
Hoffen wir, dass es dabei bleibt. Denn es wäre schade,
wenn diese originelle und aufschlussreiche Reihe deutschen
Lesern vorenthalten bliebe, zumal wenn sie erfahren wollen,
was Nate Romanowski angestellt hat, um den Zorn des FBI
auf sich zu ziehen. |
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: Die
gute Ratte (The Good Rat, 2008).
Sachbuch. Deutsch von Bärbel Knill. Weinheim:
Wiley-VCH 2009. 255 Seiten. € 17,95.
Jimmy Breslin, der am heutigen
Samstag 79 Jahre alt wird, ist eine Legende des amerikanischen
Journalismus. Das weiß ich allerdings erst, seit
ich in Vorbereitung dieser Besprechung die bekannten Quellen
des weltweiten Netzes zu Rate zog, denn im Gegensatz zu
Autoren wie Tom Wolfe, Gay Talese und Hunter S. Thompson,
mit denen er seit Beginn der sechziger Jahre des vergangenen
Jahrhunderts einen subjektiven Reportagestil kultivierte,
der später
das Label "new journalism" verpasst bekommen
sollte, blieb Breslin hierzulande weitgehend unbekannt.
Und es ist zu befürchten, dass die deutsche
Ausgabe seines Abgesangs auf die amerikanische Mafia, "Die
gute Ratte",
diesen bedauerlichen Umstand nicht ändern wird. Doch
dazu später.
Berühmt wurde Jimmy Breslin durch seinen Bericht von
der Bestattung John F. Kennedys, bei dem er seine Aufmerksamkeit
vor allem auf den Totengräber richtete. Damit ist
schon ein Wesensmerkmal des "neuen Journalismus" genannt,
nämlich die Konzentration
auf die Geschichten abseits der großen Schlagzeilen.
Auch in "Die gute Ratte" widmet Breslin ein bewegendes
Kapitel der Biografie eines Menschen, der mit den Mafiosi,
von denen das Buch handelt, nichts zu tun hatte, aber aufgrund
einer Verwechslung von ihnen umgebracht wurde. Wir erfahren,
dass der junge Nicky Guido gut zu seiner Mutter war, dass
er immer für einen Vierteldollar Softeis kaufte und
dass er gerne auf seinem Fahrrad durchs Viertel fuhr. Wir
lesen auch, dass er später Feuerwehrmann wurde. Und
dass er "als der Held, der er immer sein wollte", starb. Nun erregt
heute, da sich schon Volontäre in der Produktion alltagsgesättigter
Prosa üben, ein solcher Reportagestil kein Aufsehen
mehr, doch Respekt nötigt das Können eines Altmeisters
wie Jimmy Breslin seinen Lesern noch immer ab.
Mit dem zweiten Markenzeichen des "new journalism" ist
es allerdings nicht so einfach. Wer auch immer irgendwann
entschieden hat, dass der Reporter seine eigene Person
mindestens so wichtig nehmen dürfe wie die Geschichte
selbst, hat eine Menge zu verantworten. Vielleicht ist
es ja albern, das Personalpronomen "ich" in journalistischen
Texten krampfhaft vermeiden zu wollen - Ihr Rezensent
tut's ja auch nicht
-, doch eine sparsame Verwendung wäre vor allem
für Autoren,
die nicht unter einem Minderwertigkeitskomplex leiden,
ratsam. Und Jimmy Breslins Ego ist riesengroß. Eine
Kostprobe gefällig: "Später, als David Berkowitz
(der als 'Son of
Sam' berüchtigte Serienkiller. JF) mir einen
Brief schrieb, fragte man mich, warum dieser gefährliche
Wahnsinnige ausgerechnet mir schrieb. Ich rief aus: 'Wem
sonst sollte er schreiben?'"
Aber um Berkowitz geht es in Die gute Ratte nur
am Rande. Im Mittelpunkt stehen die Aussagen des Gangsters
Burton Kaplan, der als Kronzeuge auftrat und so dafür
sorgte, dass zwei Mafia-Killer (und hauptberufliche Polizisten)
zu lebenslanger Haft verurteilt wurden. Das Buch besteht
konsequenterweise aus Gerichtsprotokollen und den Geschichten,
die Breslin, der seit den sechziger Jahren enge, aber
nicht ungefährliche Kontakte zu den Protagonisten
des organisierten Verbrechens unterhält, selbst beisteuern
kann.
Die zentrale These des Autors lautet: Die Mafia ist nur
noch ein Schatten ihrer selbst. Sie ist zum Opfer ihrer
eigenen Mythen geworden. Nicht nur, dass viele früher lukrative,
weil illegale Geschäftszweige wie das Glücksspiel erfolgreich
von anderen, zum Beispiel vom amerikanischen Staat, übernommen
worden seien; die Tatsache, dass ein führendes Mafiamitglied
die Omertá, das Schweigegebot, missachtet, zeige, dass
es mit der in zahllosen Filmen und Büchern romantisierten
Verbrecherorganisation zu Ende geht. Mit dem Verbrechen
an sich natürlich nicht, daran lässt Breslin keinen Zweifel.
The Good Rat erschien im vergangenen Jahr in den
USA und erhielt teilweise begeisterte Kritiken. "Breslin",
schrieb Ron Rosenbaum im Internet-Magazin "Slate", "ist
der größte
Mafia-Autor in den USA." Einen seiner fein abgestimmten
Sätze zu lesen, sei ein reines Vergnügen. Wie
schön wäre
es, ließe sich solches auch von der deutschen Ausgabe
behaupten. Doch leider scheint die Übersetzerin von
Breslins Stil
überfordert gewesen zu sein und hat sich offenbar
im Zweifelsfall entschieden, einfach die Syntax des Originals
beizubehalten. Das liest sich dann zum Beispiel so: "Trotz
John Gottis gewaltiger Zerstörungswut konnte niemand
der Mafia deswegen etwas anhaben. Er brach die altehrwürdige
New Yorker Rushhour-Regel, als er Paul Castellano genau
währenddessen töten ließ.
Das war dreist, und Gotti liebte das."
Man ahnt es schon. Wer wissen will, warum Jimmy Breslin
in seiner Heimat hoch geschätzt wird (wenn auch nicht von
seinem Kollegen Gay Talese, der ihn für einen Grobian hält,
der diesen unschönen Charakterzug in ein Markenzeichen
verwandelt habe), sollte in die Originalausgabe investieren.
Dann versteht er vielleicht am Ende, warum von der Mafia
und ihrem angeblichen Ehrenkodex nicht mehr viel übrig
ist. Und findet in diesem Zusammenhang auch heraus, was
es mit der geheimnisvollen "New Yorker Rushhour-Regel"
auf sich hat. |
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: Nackige
Engel. Kriminalroman. München: Kunstmann
2010. 205 Seiten. € 16,90.
Ein paar Weißbier zu viel können
so manchen auf komische Ideen bringen. Wilhelm Gossec,
der Trödler aus Münchens Schlachthofviertel und
Gelegenheitsermittler in kriminellen Angelegenheiten, ist
da keine Ausnahme.
"Würde Hitler heute durch München marschieren,
würde der
überwiegende Teil der Passanten wieder den rechten
Arm hochrecken", behauptet er gegenüber seinem
Kumpel Julius und zögert auch nicht, den Beweis für
diese steile These anzutreten. Flugs treibt er die passenden
Klamotten auf, klebt sich ein Bärtchen unter die Nase
und marschiert los. Dass er an diesem ungemütlich
kalten Abend ausgerechnet auf ein Häuflein Neonazis
treffen wird, die vor einem Kriegerdenkmal eine Mahnwache
abhalten, kann er ja nicht ahnen. Die zeigen sich erwartungsgemäß erschrocken
und reagieren genauso, wie es der trunkene Gossec den meisten
Bewohnern der ehemaligen
"Hauptstadt der Bewegung" unterstellt hatte.
Zu seinem Glück kann er sich unerkannt aus dem Staub
machen, nur um am nächsten Tag in der Zeitung zu lesen,
dass man den Vorfall für eine Aktion des Kabarettisten
Wolfertshofer hält, dem
die getäuschten Hitlerjünger nun an den Kragen
wollen. Gossec versucht ihn zu warnen, doch der professionelle
Spötter lässt sich die Verwechslung gerne gefallen.
Als er, wie es sich für einen anständigen Kriminalroman
gehört,
letztendlich doch einen gewaltsamen Tod erleidet, ist es
natürlich unser Amateurdetektiv, der die Leiche findet.
Dass ihm der mutmaßliche Mörder eins überzieht
und er beinahe als Tatverdächtiger festgenommen wird,
gehört ebenfalls
zu den gängigen Bausteinen des Genres.
Überhaupt versteht sich der unter dem Pseudonym Max
Bronski schreibende Münchener Autor auch im vielleicht
letzten Band seiner Gossec-Reihe vorzüglich auf das
Recycling bewährter Plotelemente. Das ist allerdings
ganz und gar nicht negativ gemeint. Schließlich poliert
Bronski seine Versatzstücke gehörig auf, bevor
er sie in Dienst nimmt. Und weil er seinen Helden und Erzähler
mit einer wunderbar lakonischen Sprache ausgestattet hat,
die ebenso gut für
selbstironische wie für leicht sentimentale Passagen
funktioniert, ist auch Gossecs vierter Fall Nackige
Engel ein Lesevergnügen.
Auch dass er Längen vermeidet, spricht unbedingt für den
Autor. Gossecs Verwicklung in den Fall und dessen anschließende
Aufklärung, die vom Ermittler - ein weiteres beliebtes
Motiv - verlangt, sich seiner eigenen Vergangenheit zu
stellen, werden auf ungefähr 200 Seiten abgehandelt. Bei
solch lobenswerter Selbstbeschränkung muss alles stimmen,
und das tut es hier auch. Am Ende dieses bemerkenswerten
Beispiels deutscher Krimikunstfertigkeit gibt Gossec den
Münchener im Himmel. Hoffen wir, dass er nur träumt. |
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: Wer
keine Gnade kennt (If God Sleeps, 1997). Thriller.
Deutsch von Anja Schünemann.
Reinbek: rororo 2010. 381 Seiten. € 8,95.
Mit gewichtigen Zitaten von
Voltaire bis W. H. Auden hat das unter dem Pseudonym J.
M. Calder schreibende australische Autorenduo John Clanchy
und Mark Henshaw seinen bereits 1997 im Original erschienenen
Thriller If God Sleeps versehen, dessen deutsche Übersetzung
nun unter dem reißerischen Titel Wer keine
Gnade kennt
auf Käufer wartet. Es geht um nichts Geringeres als
die alte Frage von Schuld und Sühne. Doch große
Themen sind keine Garantie für große Literatur.
Und im vorliegenden Fall gelingt es den bemühten Verfassern
allerdings noch nicht einmal, den Gerechtigkeitsdiskurs
in einen halbwegs spannenden Krimi zu überführen.
In einer ungenannten amerikanischen Stadt werden drei ehemalige
Strafgefangene jeweils kurz nach ihrer vorzeitigen Haftentlassung
umgebracht. Die Männer haben sich allesamt besonders
abscheulicher Verbrechen schuldig gemacht, sonst haben
sie nichts gemeinsam. Doch die Mordwaffe ist dieselbe.
Während Lieutenant Solomon Glass, eine charismatische
Ermittlerfigur, deren Persönlichkeit wie auf dem Reißbrett
entworfen wirkt, noch im Dunkeln tappt, bekommen wir
Leser des Rätsels Lösung schon nach wenigen Kapiteln
serviert. Die Täter gehören einer Selbsthilfegruppe
für
die Angehörigen der Opfer von Gewaltverbrechen an.
Aus therapeutischen Gründen (und damit man ihnen nicht
so rasch auf die Spur kommt), werden die Morde nie von
den direkt Betroffenen verübt. Dafür müssen
die Täter im
Gruppengespräch detailliert berichten, wie sie die
von der Justiz zu sanft behandelten Übeltäter
zur Strecke gebracht haben. Dass irgendwann auch ein Richter
wegen seiner milden Urteile dran glauben muss, ist da fast
zwangsläufig. Für Glass und sein Team bedeutet
dieser letzte Mord allerdings, dass sie ihre Fahndungsanstrengungen
verdoppeln müssen.
Das zu beobachten ist für den informierten Leser ebenso
enervierend wie langweilig. Zumal er sich die einzige offene
Frage, wer nämlich die selbsternannten Richter und
Henker wissen lässt, wann ein Straftäter frühzeitig
aus der Haft entlassen wird, längst selbst beantworten
kann.
Clanchy und Henshaw haben ihrem Helden Solomon Glass einige
Jahre später einen zweiten Auftritt gegönnt.
Der Nachfolger And Hope to Die erschien bereits
im vergangenen Jahr in deutscher Übersetzung (Ich
töte,
was Du liebst) und wurde im
Titel-Magazin von Nadja Israel zwar nicht
gelobt, aber als "im glauserschen Sinne fuselspannend" beschrieben.
Für Wer keine Gnade kennt wäre selbst
dieses zweischneidige Prädikat eine unverdiente Schmeichelei. |
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: Der
letzte Quarry (The Last Quarry,
2006). Roman. Deutsch von Maike Stein.
Berlin: Hard Case Crime bei Rotbuch 2009. 187 Seiten.
€ 9,90.
Quarry schläft schlecht. Und
er langweilt sich. Seit sechs Monaten arbeitet der frühere
Profikiller als Manager einer Ferienanlage an einem See
irgendwo in den Vereinigten Staaten. Quarry selbst sagt,
es handle sich um den Sylvan Lake in Minnesota, fügt
aber gleich hinzu, dass man seinen Angaben nicht trauen
dürfe.
Als ob wir Leser ihm die Polizei auf den Hals hetzen würden.
Wir könnten ihm auch gar nichts nachweisen. Weder
die vielen Morde, für die er von unbekannten Auftraggebern
bezahlt wurde, noch den Umstand, dass er aus Rache "irgendwelche
Politikerschweine, keine Mafiosi" umgebracht hat,
denen er die Schuld am Tod seiner Frau gibt. Als das passierte,
hatte Quarry sich eigentlich schon zur Ruhe gesetzt.
Jetzt kümmert er sich um Touristen. Den Job hat ihm ein alter
Kriegskamerad verschafft. Doch die Saison ist vorüber, es
gibt kaum noch etwas zu tun. Quarry beginnt, sich zu langweilen.
Und, wie gesagt, er schläft schlecht.
All das erfahren wir auf den ersten Seiten von Max Allan Collins' Roman Der
letzte Quarry, ein programmatischer Titel. Denn der Autor gönnt
seinem merkwürdigen Helden ein Happy End. Aber davon später.
Zunächst einmal
muss etwas gegen die Schlafstörungen unternommen werden. Dafür
braucht es einen schönen Zufall, und der ergibt sich beim nächtlichen
Einkauf im Supermarkt, als Quarry seinen alten Bekannten
Harry wiedersieht. Der erkennt ihn nicht, was auch gut so
ist, schließlich stand das letzte Zusammentreffen der
beiden unter keinem guten Stern. Harry ist bekanntermaßen
schwul, weshalb Quarry sich fragt, für wen der dicke
Mann wohl eine Packung Tampons erwirbt. Also folgt er ihm.
Später in der
Nacht ruhen Harry und sein Gefährte Louis im eiskalten
See, während Quarry damit beschäftigt ist, das
rotzfreche Kidnapping-Opfer der beiden ihrem reichen Daddy
zurückzugeben. Natürlich nicht,
ohne selbst ein entsprechendes Lösegeld zu kassieren.
Schließlich
mutiert ein Berufsverbrecher im Ruhestand nicht notwendigerweise
zu einem nützlichen Mitglied der Gesellschaft.
Oder etwa doch? Max Allan Collins, der den Profikiller bereits
in den frühen siebziger Jahren während eines universitären
Schreibworkshops erfand, hat offenbar Vergnügen daran,
seinen moralisch zweifelhaften Protagonisten mit der sittlichen
Verkommenheit eines scheinbar ehrbaren Bürgers zu konfrontieren.
Und, was noch entscheidender ist, mit den erotischen Reizen
einer schönen Frau. Denn im Unterschied zu Richard Starks
Parker, dem Prototyp des professionellen Gangsters als Krimiheld,
dessen Libido auf Null herunterfährt, wenn er einen
Job zu erledigen hat, wird Quarry schwach, kommt ein bestimmter
Typ Frau ins Spiel. "Etwas Menschliches", wie er
bekennt,
"das einen Vollidioten wie mich jedes Mal in die Klemme
brachte."
Den "Vollidioten" darf man übrigens nicht
zu wörtlich nehmen.
Mögen seine Gegner auch brutal und skrupellos sein,
Quarry ist ihnen über. Mike-Hammer-mäßig
knöpft
er sich den Oberschurken und seine Helfer ausgerechnet
auf einem Friedhof vor. Und kriegt am Ende die Frau, die
er liebt.
Den "perversesten Abschluss", den er sich für Quarry vorstellen
könne, nennt der Autor in seinem Nachwort dieses
Happy End. Recht hat er. Aber weil Max Allan Collins
hier offenbar mit den Regeln des Genres spielt, hat auch
das seine Ordnung. Ganz ernst nehmen darf man diesen
rasanten Reißer, den er aus zwei älteren Kurzgeschichten
zusammengebaut hat, nämlich nicht. Aber warum sollen
gestandene Profis des Metiers sich nicht einmal einen,
zugegeben blutigen, Scherz erlauben. |
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: Totenpfad
(The Crossing Place, 2009). Roman. Aus dem Englischen von
Tanja Handels. Reinbek: Wunderlich
2009. 316 Seiten. €
19,90.
In der Hoffnung auf angenehm altmodische Krimiunterhaltung
beschritten wir frohgemut den Totenpfad und wurden zunächst
auch nicht enttäuscht. Wir wunderten uns zwar ein wenig über
Sinn und Zweck des bewusst rätselhaft gehaltenen Prologs,
konnten uns aber dessen Vorhandensein rasch mit einem der
ungeschriebenen Gesetze des Genres erklären, welches besagt,
dass mysteriöse Vorausdeutungen Atmosphäre schaffen. Und
warum sollte die Engländerin Elly Griffiths ausgerechnet
in ihrem Krimidebüt mit bewährten Traditionen brechen? Nicht
beantworten konnten wir uns allerdings die Frage, warum die
Autorin ihre mythologisch grundierte Geschichte von Rache
und Mord in einem irritierenden Präsens erzählt. Aber man
muss ja auch nicht alles wissen.
Im ersten regulären Kapitel sollen wir die Hauptperson
kennen und schätzen lernen. Ruth Galloway, eine sympathische
Enddreißigerin,
lehrt forensische Archäologie an der (fiktiven) Universität
von King's Lynn in der englischen Grafschaft Norfolk. Sie
liest Krimis von Ian Rankin, aber keine Zeitung, hört
den BBC World Service und ist Atheistin. Ihr Haus befindet
sich in einer einsamen Gegend, nämlich am Rande eines
Salzmoors. Wer gerne nach Zeugnissen untergegangener Kulturen
gräbt,
ist hier sehr gut aufgehoben. Und als Setting für einen
Kriminalroman mit leichten Gruselelementen eignet sich eine
Gegend, in der vor 2000 Jahren wahrscheinlich Menschen geopfert
wurden, ganz hervorragend.
Die Krimihandlung lässt nun auch nicht mehr lange auf sich
warten. Schon gegen Ende des Kapitels tritt der raubauzige
Kriminalist Harry Nelson auf den Plan. Er braucht die Hilfe
der Expertin, um einen mysteriösen Knochenfund einordnen
zu können. Seit zehn Jahren nämlich sucht er nach einem
Mädchen, das damals spurlos verschwand. Dass Nelson in
dieser Zeit eine ganze Reihe gehässiger Briefe mit kryptischen
Hinweisen auf den Verbleib des Kindes zugeschickt wurden,
ist mit dafür verantwortlich, dass er den Fall noch immer
nicht zu den Akten gelegt hat. Doch die Knochen, die Ruth
für ihn untersucht, stammen aus der Eisenzeit. Und dann
verschwindet wieder ein Mädchen.
So weit, so mysteriös. Vom Klappentext bereits darüber informiert,
dass der Täter sich ganz in Ruths Nähe befindet, zogen wir
unsere Schlüsse, lasen mit mäßigem Interesse weiter und fanden
unseren Verdacht bestätigt. Zwar sorgt die Autorin durch
eine kleine Schleife in der Abwicklung des Plots noch für
ein bisschen Aufregung und schickt unsere Heldin gegen Ende
des Buches zum Showdown ins Moor, doch da waren wir schon
nicht mehr richtig bei der Sache. Wenig überzeugend fanden
wir auch die ausgesprochen konstruiert wirkende Motivlage.
Die Originalausgabe von Totenpfad erschien, wie die Übersetzung,
erst im vergangenen Jahr. Aber der deutsche Verlag weiß bereits,
dass sich "weitere Bände" in Vorbereitung
befinden. Auf Elly Griffiths, der die Idee zur Figur der
Ruth Galloway kam,
"als ihr Mann seinen Job als Banker aufgab, um Archäologe
zu werden" (Klappentext), kommt also eine Menge Arbeit
zu. Ginge es nach uns, könnte sie stattdessen ruhig
dem Gatten bei seinen Ausgrabungen zur Hand gehen. |
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: Blutrote
Nacht (Blood Sunset, 2008). Thriller. Deutsch
von Ursula Walter. Berlin: Aufbau Taschenbuch
2010. 391 Seiten. € 9,95.
"In diesem Augenblick traf ich die
Entscheidung", lässt
uns der vom Dienst suspendierte Detective Rubens McCauley
wissen. "Ich würde nach Melbourne zurückkehren,
Dallas Boyds Mörder finden und dafür sorgen, dass
Dallas und Rachel Gerechtigkeit widerfuhr."
Dies kommt für die Leser des australischen Thrillers Blutrote
Nacht nicht überraschend, obwohl der wackere Ermittler
noch knappe fünfzig Seiten zuvor "die Entscheidung,
alles zu verdrängen", getroffen hatte. Allerdings
befinden wir uns gerade ungefähr auf der Hälfte
des Romans, und es wird noch knapp 120 Seiten dauern, bis
McCauley auf die Frage seiner Kollegin Cassie, was er denn
nun vorhabe, antworten wird:
"Ich will ihn finden."
Dieser Wunsch geht im nächsten Kapitel in Erfüllung,
allerdings anders, als es sich McCauley gedacht hat. Und
bis der Fall vollständig aufgeklärt ist, füllt
der Kriminologe noch weitere sechzig Seiten seines Debütromans
mit einem als zusätzlicher
Nervenkitzel gedachten Endspurt.
Denn wie es sich für einen zünftigen Thriller gehört, ist
des Rätsels Lösung ein wenig komplizierter als vermutet,
und unser Ermittler muss sich noch einmal in Lebensgefahr
begeben, bevor er den wahren Mörder am Schlafittchen hat.
Einfacher hat es da der routinierte Leser, dem eben jene
Figur von Anfang an als der wahrscheinlichste Kandidat für
die Rolle des Mannes mit dem Doppelleben verdächtig ist.
Blutrote Nacht also weist alle Ingredienzien auf,
aus denen heutzutage genreübliches Lesefutter zubereitet
wird. Ein aufrechter Polizist, der Ärger mit seinen
Vorgesetzten hat und sein kompliziertes Privatleben
kaum im Griff hat, klärt gegen alle Widerstände
ein Gewaltverbrechen auf und bringt durch seine Ermittlungen
auf der "dunklen Seite Australiens"
(Klappentext) Ungeheuerliches ans Licht.
Der Vorteil eines literarischen Produktes dieser Güteklasse
liegt allerdings darin, dass es durch die Übersetzung
in ein merkwürdig synthetisch klingendes Deutsch, das
mit Formulierungen wie "für den Moment" aufwartet,
kaum Schaden nimmt. |
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: Outback
Bastard (Diamond Dove, 2006).
Roman. Deutsch von Peter Torberg. Frankfurt am Main:
Suhrkamp 2009. 365 Seiten. € 8,95.
Emily Tempest hat die Welt
gesehen. Doch was sie suchte, hat sie offenbar nicht gefunden.
Also kehrt die junge Frau dahin zurück, wo sie als
Kind glücklich war. Tief im australischen Outback
ist sie bei der Moonlight-Sippe aufgewachsen, nachdem ihre
Aborigine-Mutter gestorben war. Ihr Vater, ein weißer
Wanderarbeiter und Goldsucher, hatte sie dort untergebracht.
Und nun ist sie nach zehn Jahren Abwesenheit zurück,
ohne genau zu wissen, was sie eigentlich hier, in einer
Gegend, um die der zivilisatorische Prozess bislang einen
Bogen gemacht zu haben scheint, überhaupt
will. Zeit darüber nachzudenken, bleibt Emily allerdings
nicht. Kurz nach ihrer Ankunft wird ihr alter Freund Lincoln
Flinders, das von seinen eigenen Leuten, aber auch von
den Weißen respektierte Oberhaupt der Gemeinschaft,
brutal ermordet. Ein Verdächtiger ist auch sofort
zur Hand: Blakie, ein ewig zorniger Einzelgänger,
dem magische Kräfte nachgesagt
werden. Doch Emily hat ihre Zweifel an dieser schnellen
Lösung des Falles, obwohl sich der wilde, bärenstarke
Zauberer durch Flucht der Verhaftung entzieht und
so noch verdächtiger
macht. Sie beginnt zu ermitteln und stößt rasch
auf verdächtige
Vorgänge, die mit den Wasser- und Weiderechten in
der Region zu tun haben. Schließlich gibt es unter
den weißen Farmern
und Minenbesitzern einige, denen die Aborigines und ihre
mühsam erstrittenen Ansprüche sehr im Wege sind.
Nun ist Emily Tempest zwar mutig und auch nicht auf den
Mund gefallen, zum Detektiv taugt sie aber nur sehr bedingt.
Wahrscheinlich hätte Napoleon Bonaparte, kurz "Bony",
den sein Schöpfer
Arthur W. Upfield (1888 - 1964) seit 1929 eine kaum übersehbare
Anzahl von Morden im australischen Hinterland lösen
ließ,
die Sache um einiges schneller in den Griff bekommen. "Bony"
- ältere Freunde des Genres werden sich noch
an ihn erinnern, waren seine Fälle doch seit den späten Fünfzigern
auch bei uns als Goldmann-Krimis weit verbreitet - stammt
ebenfalls zum Teil von Aborigines ab, ist aber ansonsten
das krasse Gegenteil von Emily Tempest. Obwohl ihn seine
Ermittlungen in die einsamsten Gegenden des australischen
Kontinents führen, bleibt er der brillante Kriminalist
in der Tradition der großen Detektivfiguren britischer
Prägung. Immer
makellos gekleidet und manchmal von einer bemerkenswerten
Arroganz lässt Inspektor Bonaparte keinen Zweifel
daran, dass er seinen Täter überführen
wird. Emily Tempest dagegen folgt mit Leidenschaft falschen
Fährten, um am Ende durch
Zufall auf die wahren Hintergründe des Verbrechens
zu stoßen. Und da ist es beinahe zu spät.
Diese Unzulänglichkeit aber ist es, die der Heldin in Adrian
Hylands Roman Diamond Dove (dessen deutsche Ausgabe
mit dem ebenso reißerischen wie blöden Titel Outback
Bastard interessanterweise einen Raubvogel auf dem
Cover zeigt) unsere Sympathien einbringt. Dazu trägt
ebenso der manchmal schnoddrige, manchmal sentimentale,
aber niemals kitschige Erzählton bei, in dem Hyland
seine Protagonistin von ihren Abenteuern berichten lässt.
(Und der vom Übersetzer Peter Torberg wunderbar
ins Deutsche
übertragen wurde.) Schließlich muss sich Emily
auch noch in der männerdominierten Welt des Outbacks
durchsetzen, und das ist kein Zuckerschlecken. Über
weite Strecken hat Outback Bastard mehr von
einem Western als von einer Detektivgeschichte, ein zünftiges
Showdown am Ende eingeschlossen. Und das geht natürlich
glücklich aus.
Unverändert miserabel hingegen bleibt die Situation
der Ur-Einwohner Australiens, die den realistischen Hintergrund
der Handlung bildet. Daran lässt der Roman keinen Zweifel. |
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: Trio
mit Ziege. Kriminalroman. Luxemburg:
Editions Saint Paul 2009. 245 Seiten. € 15,-.
Als Manfred Lehmann, Bürgermeister
des kleinen Ortes Grünthal, eine Vermisstenanzeige für
seine Haushaltshilfe Frau Bange aufgibt, staunt Wachtmeister
Kröger nicht schlecht. Lehmann weiß nämlich weder, wie
alt die verschwundene Dame ist, noch wie sie mit Vornamen
heißt, obwohl sie bereits seit 15 Jahren in seinen Diensten
steht. Ein Melderegister, dem man solche Daten entnehmen
könnte, scheint in Grünthal auch nicht zu existieren, kein
Wunder, bei einem solchen Verwaltungschef. Der ist übrigens
ziemlich genau über den Aufenthaltsort von Frau Bange informiert,
war er doch selbst an der Zwischenlagerung ihrer Leiche
in Metzgermeister Schwanes Kühlhaus beteiligt.
Wie es dazu kommen konnte, beschreibt mit deutlicher Freude
am makabren Detail die Wahl-Luxemburgerin Susanne Jaspers
in ihrem Debütroman Trio mit Ziege. In Grünthal
geht nämlich
ein psychopathischer Mörder um, der es nicht nur auf
Menschen, sondern auch auf die Ziegen des Käsereibetreibers
Wim van Hout abgesehen zu haben scheint. Da fließt
das Blut in Strömen,
während die örtlichen Honoratioren sich immer mehr
in ihren hilflosen Vertuschungsaktionen verstricken und dabei
Sätze
wie die folgenden von sich geben: "Aber wenn wir Spuren
hinterlassen haben? Was ist, wenn sie unsere Fingerabdrücke
finden? Ach herrje, ich stehe das nicht durch. Und dabei
muss ich bei den Feierlichkeiten auch noch im Auftrag der
Gemeinde Schwenksteaks grillen."
Man sieht, es ist ein rechter Krimi-Klamauk, den uns Frau
Jaspers hier auftischt. Auf ihre Kosten kommen Leser, deren
Faible für blutrünstige Dorfpossen mangels passender Angebote
bislang unbefriedigt geblieben ist. |
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:
Früher
im Licht. Ein sel noir Krimi.
Zürich: Salis 2009. 320 Seiten. € 16,90.
Kurz bevor er einen Doppelmord aufklären
kann, wird Kommissar Varga von der Zürcher Kriminalpolizei
in den Kopf geschossen. Nun liegt er im Koma auf der Intensivstation
des Universitätsspitals.
Laut ärztlichem Bericht zeigt er keine Reaktionen auf äußere
Reize, doch sein Gehirn arbeitet noch. Und zwar an der endgültigen
Lösung des Falles. Das will uns zumindest das
Krimidebüt
des Schweizer Werbetexters Tamás Kiss, Früher
im Licht, weismachen. Tatsächlich ist diese Ausgangssituation
erzähltechnisch
durchaus reizvoll, ermöglicht sie doch ein ganzes Potpourri
von Erinnerungen zusammenzustellen, denen der sterbende Protagonist
ausgesetzt ist. Im Falle von Varga sind das vor allem Bilder
aus seiner Kindheit in Ungarn, das er nach dem gescheiterten
Aufstand von 1956 mit seinem Vater verlassen musste. In der
Schweiz allerdings, wohin es den Jungen verschlagen hat,
scheint der Cola trinkende Ermittler mit dem ewigen Hunger
auf Süßigkeiten nie richtig angekommen zu sein.
So entsteht ein komplexes Charakterbild, das jedoch angesichts
der wenig befriedigenden Kriminalgeschichte, die hier zum
Besten gegeben wird, fast wie Verschwendung wirkt. Marco
Kistler, 33 Jahre alt und bis vor kurzem führendes Mitglied
einer rechtsextremen Partei, wird erschossen aufgefunden.
Rasch stellt sich heraus, dass Kistler undurchsichtige Verbindungen
nach Kuba unterhielt. Dann geschieht ein zweiter Mord. Und
Varga muss nebst Assistentin Nowak nach Havanna fliegen,
um seine Ermittlungen fortzusetzen. Hier kommt er, systembedingten
Einschränkungen zum Trotz, einem sensationellen
Biowaffen-Deal auf die Spur, bei dessen Abwicklung Kistler
sein Leben lassen musste. Zur Aufklärung des Falles
langt es dann leider nicht mehr, da Varga nach seiner Rückkehr
in die Schweiz besagte Kugel trifft. Zwar verrät uns
"sein Gehirn" noch eine Seite vor Schluss den Täter,
doch um den Ermittler,
der durchaus das Zeug zu einem zünftigen Serienhelden
hätte, ist es geschehen. So weit, so wirr.
Tamás Kiss, 1966 als Sohn eines Ungarnflüchtlings
und einer Schweizerin geboren, hat, wie uns sein Verlag verrät,
bereits mit 14 begeistert Dürrenmatts
Der Richter und sein Henker gelesen. Seitdem mag er
Krimis. Außerdem
reist er gern und häufig nach Havanna. Wenn es ihm gelingt,
all diese Dinge bei seinem nächsten Roman außer
Acht zu lassen, stehen die Chancen nicht schlecht, dass ein
wirklich lesenswertes Buch dabei herauskommt. Denn schreiben
kann der Mann. |
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: Schön
tot. Ein Wien-Krimi. Innsbruck/Wien:
Haymon 2009. 175 Seiten. € 17,90.
Das neue Buch der österreichischen
Autorin und Psychoanalytikerin Edith Kneifl hat viel zu
bieten. Hobbyköche finden im Anhang Rezepte zum Beispiel
für Wiener Zwiebelrostbraten: "Das Fleisch am
Teller anrichten, Saft übergießen und die knusprigen
Zwiebelringe darüber
geben. Den Rostbraten mit Braterdäpfeln und Fächergurke
servieren." Touristisch Interessierte können
sich an gepflegter Prosa wie aus dem Reiseprospekt erfreuen: "Das
markante Gewölbe des Schlossgebäudes aus dem
14. Jahrhundert kam in dem neuen Design wundervoll zur
Geltung. Die Gäste saßen
in ferrariroten Lederfauteuils. Holzdielen und farbige
Stoffdraperien vermittelten fast Wohnzimmeratmosphäre."
Auch wer es gern erotisch hat, kommt auf seine Kosten:
"Die Ungeduld meiner Haut, meiner Brüste, meiner
Scham wurde von gewaltigen Hitzewellen begleitet. Mein
ganzer Körper begann zu zittern, bis ich schließlich
nur mehr reine Lust, nichts als Lust empfand."
Diese drei Beispiele sollten genügen, obwohl noch eine ganze
Reihe weiterer interessanter Themen abgehandelt werden, von
der Psychoanalyse bis zur neueren Geschichte der Wiener Gastronomie.
("Stephan Gergely und ich haben Anfang der 90-er Jahre das
'Ethno-Food' im Wiener Beisl eingeführt.")
Schade nur, dass dieses putzige, vom Verlag als "Wien-Krimi"
annoncierte Sammelsurium von Anekdoten, Reklame und Kitsch
als Kriminalroman überhaupt
nicht funktioniert. Das Elend beginnt mit der Heldin des
Buches, einer studierten Kellnerin Ende dreißig, die
von ihrer Erfinderin nicht nur mit einem ausgesprochen originellen
Namen, sondern auch mit einer bemerkenswerten Biografie,
auf deren Nacherzählung ich hier verzichten möchte,
ausgestattet wurde. Die Dame ist eine selbstverliebte Plaudertasche,
deren Mitteilungsbedürfnis so umfassend ist, dass der öde
Plot um einen mutmaßlichen Serienmörder, der im
Wiener Viertel Margareten junge Frauen abschlachtet, darüber
gelegentlich ins Vergessen gerät. Und das ist angesichts
eines an sich erfreulich knappen Buchumfangs von ungefähr
160 Seiten schon eine Leistung.
Die Lektüre aber auch. Zum Beweis ein letztes, durchaus
repräsentatives Zitat von Seite 104. "Abends war das Café
Cuadro ein Treffpunkt für Künstler, Freiberufler und Schwule.
In der Früh war unser Publikum gemischter. Unser Bio-Frühstück
mit all den gesunden Säftchen war vor allem bei Müttern
mit Kleinkindern beliebt." Wer solche Informationen schätzt,
sollte das Buch unbedingt erwerben. |
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: Blutige
Ernte (Bloody Harvests, 2004). Thriller. Aus dem
Englischen von Silvia Visinini. München:
Knaur 2009. 508 Seiten. € 8,95.
Umgerechnet 40 Milliarden Euro, so war neulich
in einer Zeitung zu lesen, habe die südafrikanische
Regierung im Zusammenhang mit der diesjährigen Fußballweltmeisterschaft
seit 2006 in die Infrastruktur des Landes gesteckt. Doch
hinter den modernen Fassaden, auch das wusste das Blatt zu
berichten, brodele weiterhin die Armut. In Ramaphosaville,
einem Elendsviertel am Rande der Metropole Johannesburg,
gebe es gerade vier
öffentliche Wasserhähne für 25.000 in Blechhütten
untergebrachte Bewohner.
Es hat sich also nicht viel geändert an den Zuständen,
die der 1976 in Namibia geborene Schriftsteller Richard Kunzmann
in seinem 2004 erschienenen Krimidebüt, das jetzt unter
dem Titel Blutige Ernte in deutscher Übersetzung
vorliegt, beschreibt: Ponte City, ein monströses "Gebäude
aus unverputztem Beton", das die Skyline Johannesburgs überragt,
besteht aus
"zahllosen, um eine Mittelachse angeordneten Wohnungen".
Hier hausen die Ärmsten der Armen. "Prostituierte
leben wie Vieh in winzigen Zimmern zusammengepfercht, durch
von der Decke hängende Handtücher voneinander getrennt,
und Scharen illegaler Einwanderer rufen einander beim Aufhängen
ihrer armseligen Lumpen an den Fenstern über die dunkle
Leere unter ihnen hinweg den neuesten Klatsch zu." Doch
im obersten Stockwerk des Hochhauskomplexes befindet sich
eine luxuriös ausgestattete
Wohnung. Hier residiert "der Albino", ein aus Nigeria
stammender Gangsterboss, der sein Drogenimperium mit brutaler
Gewalt und schwarzer Magie regiert. Denn in den Augen der
unter erbärmlichen Bedingungen lebenden schwarzen Bevölkerung
verfügt
der skrupellose Manipulator mit der sonnenempfindlichen hellen
Haut über okkulte Fähigkeiten. Und das verschafft
ihm Respekt.
Um harmlosen Hokuspokus handelt es sich bei diesen Zauberpraktiken
übrigens nicht. Besondere magische Kraft wird menschlichen
Organen zugeschrieben, und um diese zu beschaffen, schrecken
"der Albino" und seine Helfershelfer auch vor Entführung
und Mord nicht zurück. Die Opfer sind vor allem junge
Mädchen,
da deren Körperteile als besonders wirksam gelten. Detective
Jacob Tshabalala befürchtet also Schlimmstes, als eine
ausgeblutete Mädchenleiche gefunden wird, der zudem
die inneren Organe entnommen wurden. Der schwarze Polizist
stammt aus einer Familie, in der die Beschäftigung mit
dem Übernatürlichen
Tradition hat. Sein weißer Kollege Harry Mason will
davon nichts wissen. Er vermutet, dass hier ein Serienmörder
am Werk war. Auch Mason hat persönliche Gründe
für sein Verhalten,
von denen sein Partner nichts weiß. Ein traumatisches
Erlebnis während seiner Kindheit in England beschert
ihm noch immer Albträume.
Man kann sich also vorstellen, dass die Zusammenarbeit der
beiden Kriminalisten nicht konfliktfrei verläuft. Und
dies ist angesichts eines schwer fassbaren Gegners, von dessen
Existenz sie zunächst nichts ahnen, ziemlich problematisch.
Ironischerweise ist es ausgerechnet der rassistische Polizist
Mitchell von der Abteilung Okkultes, der den Verdacht in
die richtige Richtung lenkt. Diesem moralisch zweifelhaften
Ermittler könnte man sich übrigens gut in einer
prominenteren Rolle vorstellen. Doch Kunzmann hat offenbar
Figuren mit einem höheren Identifikationspotential den
Vorzug gegeben. Sowohl Mason als auch Tshabalala sind integre
Charaktere, deren persönliches Schicksal berührt.
Während Harry Mason
ständig unter einem schlechten Gewissen leidet, weil
er Frau und Tochter vernachlässigt, ringt Jacob Tshabalala
mit der Kultur seines Volkes. Indem er Polizist wurde, anstatt
seinem Vater, einem berühmten Heiler, nachzufolgen,
hat er sich der Familientradition verweigert.
Man kennt solche Konstellationen aus anderen Kriminalromanen.
Dass sich das Gefühl, wieder einmal altgediente Klischees
serviert zu bekommen, nur selten einstellt, ist der eindrucksvollen
Schilderung des Umfelds geschuldet, in dem Kunzmann seine
Protagonisten ermitteln lässt. Und glaubt man Berichten,
wie dem zu Anfang zitierten, ist zu befürchten, dass
es sich durchaus um eine realistische Darstellung handelt.
Sinnvoll scheint dem Rezensenten auch die Entscheidung, den
Roman im Präsens zu erzählen, verleiht dieses Tempus
der Handlung doch eine Unmittelbarkeit, der man sich nur
schwerlich entziehen kann. Dass ein beherztes Lektorat das
Buch um mindestens hundert Seiten hätte entlasten können - manche
Nebenhandlung scheint durchaus entbehrlich -, ist eine
Feststellung, die auf viele zeitgenössische Kriminalromane
zutrifft. Hingegen würde der in Sachen Okkultismus unbewanderte
Leser durchaus von einem Glossar profitieren, in dem Ausdrücke
wie "Muti",
"Sangoma" oder "Baloyi" erklärt werden. |
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: Kalter
Abgrund. Dallingers zweiter
Fall. Roman. Berlin: Bloomsbury 2010.286 Seiten. € 14,90.
Was in Kalter Abgrund, dem zweiten
Kriminalroman des Berliner Autors Moritz Wulf Lange, geschieht,
ist rasch zusammengefasst. Michael Dallinger, ehemals Musiker
und jetzt Privatdetektiv, kommt es merkwürdig vor, dass
seine Ex-Freundin Ina Selbstmord begangen haben soll. Zudem
quält ihn ein schlechtes Gewissen,
hat er doch zu spät reagiert, als sie offensichtlich
in Schwierigkeiten steckte und ihn um Hilfe bat. Also beginnt
Dallinger, unterstützt
von einem pensionierten Kriminalbeamten, zu ermitteln, stößt
bald auf Ungereimtheiten und kann schließlich mit Täter
und Motiv aufwarten.
Lange erzählt diese Geschichte, unterbrochen
von einigen Rückblenden, chronologisch. Zu Beginn des Romans
wählt er für einige Kapitel die Perspektive des späteren
Opfers, später übernimmt er durchgehend die Sichtweise seines
Protagonisten. Dabei bevorzugt er einen parataktischen Stil,
der auf die Dauer ziemlich ermüdend wirkt. Manchmal bemüht
sich Lange, so etwas wie Atmosphäre zu schaffen. Dann lässt
er Dallinger zu Beuteltee greifen, dessen Haltbarkeitsdatum
längst abgelaufen ist. Oder er schickt ihn von heftigem Harndrang
getrieben in den Innenhof eines offenbar luxusrenovierten
Häuserkomplexes, wo er sich im "Schatten der Mülltonnen"
erleichtern darf.
Doch leider gelingt es dem Autor nicht, dauerhaftes Interesse
an seinem Ermittler zu wecken. Auch die Nebenhandlung um
Dallingers aktuelle Freundin Anke, die er, von seinen Nachforschungen
übermäßig in Anspruch genommen, immer wieder versetzt, verleiht
dem Roman keinen zusätzlichen Reiz. Eher fragt sich der Leser,
was der Detektiv eigentlich an der Dame findet. Und sie an
ihm. Ein sonderlich charismatischer Typ ist er nämlich nicht.
Das könnte man, angesichts der vielen enervierend skurrilen
Figuren, die momentan unsere Kriminalliteratur bevölkern,
als gutes Zeichen deuten, würde es dem Autor gelingen, diesem
Mann ohne besondere Eigenschaften sprachlich gerecht zu werden.
Doch das hätte dessen konsequente Demontage bedeutet.
Aber vielleicht ist diese Perspektive bereits angedeutet,
wenn es am Ende des Romans, der als zweiter Band einer Reihe
eine Fortsetzung erwarten lässt, in grandioser Selbstverkennung
heißt: "Aber vielleicht war von seinem Leben noch
etwas zu retten. Jetzt würde er sich um Anke kümmern.
Es war ein gutes Gefühl." |
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: Die
Gosse und das Grab (I'm Cannon - for
Hire, 1958. Unter dem anderen Pseudonym Curt Cannon:
The Gutter and the Grave, 2005). Roman. Deutsch
und mit einem Nachwort von Andreas C. Knigge. Berlin:
Rotbuch (Hard Case Crime) 2009. 220 Seiten. 9,90.
Wer nur die Romane um das 87. Polizeirevier kennt, die Salvatore
Alberto Lombino (1926 - 2005) unter seinem wohl bekanntesten
Pseudonym Ed McBain verfasste, wird vielleicht überrascht
sein, dass dieser große amerikanische Erzähler auch als Autor
eines bemerkenswert durchschnittlichen Reißers um einen ebenso
hartgesottenen wie sentimentalen Privatschnüffler in Erscheinung
getreten ist. Matt Cordell heißt der Mann, dem das Schicksal
in einem Abwasch die Lizenz und die Frau seines Lebens genommen
hat. Nun gilt sein Interesse vor allem dem Alkohol, Aufträge
nimmt er nur noch gelegentlich an.
Als Evan Hunter hatte Ed McBain seit 1953 eine ganze Serie
von Kurzgeschichten veröffentlicht, in denen Cordell
die Hauptrolle spielt. Glaubt man der
"Mammoth Encyclopedia of Modern Crime Fiction",
galten sie als die härtesten
und schockierendsten Privatermittler-Storys nach Spillanes
Mike-Hammer-Abenteuern. 1958 erschienen die Geschichten in
dem Sammelband I like 'em tough und
aus Cordell wurde Curt Cannon, der nun auch als Autor herhalten
musste. So auch im einzigen Roman der Reihe, "I'm
Cannon - for hire", der ebenfalls
1958 erschien und nun unter dem Titel Die Gosse und
das Grab in Rotbuchs
Hard-Case-Crime-Reihe neu übersetzt vorliegt. Wie sich
dem informativen Nachwort des Übersetzers Andreas C.
Knigge entnehmen lässt, kam eine stark
gekürzte erste deutsche Ausgabe bereits ein Jahr nach
dem Erscheinen des Originals als Tödliche Lügen auf
den Markt.
Die Gosse und das Grab liest sich, als ob Plot und
Personal einem Bausatz für die
Anfertigung harter Detektivromane der vierziger und fünfziger
Jahre entnommen wären. Widerwillig nimmt der Ermittler
den Auftrag eines alten Freundes an, der befürchtet,
dass sein Geschäftspartner ab und an in die Kasse greift.
Dummerweise ist der zu diesem Zeitpunkt bereits mausetot.
Jemand hat ihn erschossen und an der Wand hinter der Leiche
mit Kreide die Initialen des jetzigen Alleininhabers notiert,
so dass dieser folgerichtig als Hauptverdächtiger festgenommen
wird. Polizisten verfallen in Romanen dieses Schlages immer
auf die nächstliegende Lösung. Nicht so natürlich
unser Detektiv, der hier wieder Cordell heißen darf
und sich umgehend auf die Suche nach dem wahren Täter
begibt. Dabei macht er die Bekanntschaft einiger attraktiver
Damen und gewalttätiger
Herren. Es wird viel getrunken. Auf erotische Nächte
folgen wüste Prügeleien, aus denen Cordell zwar
stark blessiert, aber ansonsten unbeeindruckt hervorgeht.
Die berühmte Szene,
in der sich der Held trotz schwerster Verletzungen mühevoll
ankleidet und das sichere Krankenzimmer humpelnd verlässt,
um seine Ermittlungen zum Abschluss zu bringen, darf ebenso
wenig fehlen wie die schmerzliche Entlarvung des wahren
Täters. Wer sich für genrespezifische Forschungen
erwärmen
kann, dem sei ein Vergleich mit dem berüchtigten Schluss
von Spillanes "Ich, der Richter" empfohlen. Im
Unterschied zu Mike Hammer haben wir es bei Matt Cordell
durchaus mit einem gebrochenen Charakter zu tun: "Ich
nahm noch einen Schluck. Es war verdammt heiß, und
ich fühlte mich allein.
Ich fühlte mich verdammt allein."
Genrehistorisch betrachtet, ist die Veröffentlichung
dieses Romans unbedingt verdienstvoll, erkennen wir doch
in Matt Cordell einen der Vorläufer von Lawrence Blocks
alkoholabhängigem
Ermittler Matthew Scudder. Als Lesevergnügen allerdings
taugt
Die Gosse und das Grab nur bedingt. |
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: Borderlands
(Borderlands, 2007). Roman. Deutsch von Alice Jakubeit.
Köln:
Dumont Taschenbuch 2010. 286 Seiten. € 8,95.
: Eine
Leiche macht noch keinen Sommer (Gallows Lane,
2008). Roman. Deutsch von Alice Jakubeit. Köln:
Dumont 2010. 318 Seiten. € 19,95.
Declan 'Decko' O'Kane ist so
einer. Am Anfang standen Einbrüche
und kleine Betrügereien. Später, da hatte er bereits
die erste Gefängnisstrafe abgesessen, verlegte er sich
aufs Drogengeschäft.
Dann war er plötzlich für einige Monate verschwunden.
Als er wieder auftauchte, hatte er genug Geld, um fünf
Gebrauchtwagen zu erwerben, die er mit Gewinn wieder abstoßen
konnte. Und
"heute, sieben Jahre später, standen auf Deckos
Gelände über
dreihundert Autos, und er beschäftigte sechs Verkäufer".
Doch so viel Geld er auch scheffelt: Für die Honoratioren
im irischen County Donegal bleibt er "ein kleiner Drogenhändler,
der zu Geld gekommen war". Dabei unterscheidet sich
Decko nur durch sein Auftreten, "eine seltsame Mischung
von Protz und Ungeschliffenheit", von jenen Zeitgenossen,
denen außer
ihrem Reichtum auch noch der Respekt der so genannten "besseren
Gesellschaft" vergönnt ist. Denn ein großes
Vermögen - diesen
Eindruck vermittelt zumindest die Lektüre der ersten
beiden Kriminalromane des nordirischen Autors Brian McGilloway -
lässt sich nur schwer auf völlig legalem Wege erwerben.
Und irgendwann fordert das Verbrechen, dessen Ertrag den
Grundstock zu dem späteren Wohlstand legte, seinen blutigen
Tribut.
Bei McGilloway sind dies jeweils zunächst mysteriös
erscheinende Mordserien, deren Aufklärung Detective
Inspector Benedict Devlin von der Polizei in Lifford, dem
Verwaltungssitz Donegals, die üblichen Schwierigkeiten
bereitet. Ärger mit Kollegen
und Vorgesetzten, Probleme mit der Ehefrau und eine brisante
Ermittlungssituation sorgen dafür, dass dem "sympathischen"
(Klappentext) Kriminalisten manch schlaflose Nacht beschieden
ist. Man kennt das. Kaum ein zeitgenössischer Spannungsroman
traut sich, mit einem fiesen Ermittler aufzuwarten, der mit
einem gesunden Schlaf gesegnet ist. Was Devlin allerdings
von seinen Kollegen unterscheidet, ist die vollkommene Abwesenheit
von Charisma. Kein skurriler Charakterzug, kein ausgeprägtes
Laster, vom Rauchen einmal abgesehen, und keine merkwürdigen
Angewohnheiten lenken von der Polizeiarbeit ab. Das könnte
ganz erfrischend sein, hätte sich McGilloway nicht entschieden,
diesen farblosen Helden selbst zum Erzähler seiner Abenteuer
zu machen. Denn die Ich-Perspektive scheint mir, neben der
nicht immer sehr eleganten Übersetzung, für den
manchmal arg bürokratisch anmutenden Stil der Berichterstattung
verantwortlich zu sein.
Dabei bietet allein der Handlungsraum der Romane ein großartiges
Potenzial. Donegal, die nördlichste Grafschaft der Republik
Irland, grenzt an das zum Vereinigten Königreich gehörende
Nordirland. Devlins Fälle ereignen sich im Grenzgebiet und
erfordern die Zusammenarbeit mit einer Polizeitruppe, die
noch bis vor einigen Jahren bei irischen Nationalisten als
Herrschaftsinstrument der britischen Besatzer verschrien
war. Zwar herrscht in der vormaligen "Unruheprovinz" inzwischen
ein, wenn auch wackliger, Frieden, doch nicht alle der paramilitärischen
Kämpfer auf beiden Seiten haben ihre Waffen endgültig abgelegt,
manche haben sich auch dem lukrativeren gewöhnlichen Verbrechen
zugewandt. Stoff genug also für gute Kriminalromane, die
vielleicht mit Band 3 und 4 der Devlin-Reihe bereits vorliegen.
McGilloways Debüt Borderlands jedenfalls und
auch der Nachfolger
Gallows Lane- den albernen deutschen Titel können
Sie in der bibliographischen Angabe nachlesen - lassen
noch so manchen Wunsch offen. |
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: Der
sichere Tod (Dead I Well May Be, 2003).
Roman. Aus dem Amerikanischen von Kirsten Riesselmann.
Berlin: Suhrkamp 2010. 464 Seiten. € 9,95.
Eigentlich ist die IRA schuld. Hätten die republikanischen
Terroristen nicht wieder einmal eine Bombe vor dem Belfaster
Europa-Hotel gezündet, deren Detonation sämtliches Fensterglas
in der näheren Umgebung zerstörte, wäre dem neunzehnjährigen
Herumtreiber Michael Forsythe nicht angeboten worden, für
ein paar Pfund beim Transport der Ersatzscheiben mitzuhelfen,
sein Foto wäre nicht in der Zeitung erschienen und die missgünstige
Nachbarin hätte ihn nicht beim Sozialamt denunziert, das
ihm prompt die Unterstützung für ein Jahr strich. Was macht
ein mittelloser, aber tatkräftiger Nordire Anfang der neunziger
Jahre in einer solchen Situation? Er geht in die USA, wo
hilfreiche Verwandte bereits für Arbeit und Quartier gesorgt
haben.
In Michaels Fall ist es Kusine Leslie, die dem jungen
Mann einen Job bei ihrem Schwager in New York besorgt. Nun
ist Darkey White aber kein gewöhnlicher Arbeitgeber, sondern
ein kleiner Gangsterboss, der immer ein paar zuverlässige
Fäuste gebrauchen kann. Michaels Karriere bezahlter Schläger
läuft zufriedenstellend an, doch als er sich mit
Darkeys Freundin Bridget einlässt, findet dieser schnell
einen Weg, sich des unliebsamen Konkurrenten zu entledigen.
Und plötzlich sitzt der Junge aus Belfast in einem hochgesicherten
Gefängnis in Mexiko. Was ihn dorthin verschlagen hat und
vor allem, wie er diesem ungastlichen Ort wieder entkommt,
lässt man sich am besten von Michael Forsythe, dem Helden
der "Dead-Trilogie" des aus Nordirland stammenden
Autors Adrian McKinty, selbst berichten. Denn dieser Knabe
verfügt nicht nur über ungeahnte Fähigkeiten, sich aus
scheinbar aussichtslosen Situationen zu befreien, sondern
ist auch ein begnadeter Erzähler mit einer überraschenden
literarischen Bildung. So verwandelt sich ein Allerweltsplot
- der Held wird gelinkt, kann aber der Falle entkommen
und begibt sich auf einen Rachefeldzug - in einen ungewöhnlichen
Entwicklungsroman, an dessen Ende aus dem naiven Neuankömmling
ein skrupelloser Killer geworden sein wird.
Der sichere Tod ist der erste, nun in einer flüssigen
deutschen Übersetzung
vorliegende, Band der Trilogie, mit dem Adrian McKinty
nicht nur eine bemerkenswerte Gangstergeschichte, sondern
auch ein bitter ironisches Sittenbild vom unteren Rand
der New Yorker Gesellschaft gegen Ende des vergangenen
Jahrhunderts gelungen ist. Da trifft man Figuren wie den
Dominikaner Ramón, der ohne auch nur den Anflug eines
schlechten Gewissens Crack an die Ärmsten der Armen
verkaufen lässt
und davon träumt, den Profit in legale Unternehmungen
zu investieren. "Ich werde Vermieter sein. Vielleicht
stelle ich mich als Abgeordneter zur Wahl. Ich möchte
etwas tun für die Community hier", erklärt
er dem entgeisterten Michael, dessen Rachegelüste ihm
gut beim Ausbau seiner Marktposition zupasskommen.
So sieht sie aus, die Welt, in der es für einen Michael Forsythe
immer etwas zu tun geben wird. Und anders als dieser wirkt
sie beängstigend realistisch. |
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: Miss
Winters Hang zum Risiko. Miss Winters erster Fall (War
Against Miss Winter, 2007). Roman. Deutsch von Kirsten
Riesselmann. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2009. 488 S. € 9,95.
Schauspielerinnen ohne Engagement gibt es
viele im New York des Jahres 1943. Es ist Krieg, und am Broadway
sind Rollenangebote Mangelware. Auch Rosie Winter hat seit
einem halben Jahr nicht mehr auf der Bühne gestanden.
Also jobbt sie im Büro
des Privatdetektivs Jim McCain. Der hat zwar schon eine Sekretärin,
doch die scheint eher für andere Aufgaben zuständig
zu sein. Der Alltag in der Detektei hat wenig mit dem zu
tun, was sich die fantasiebegabte Rosie als eifrige Leserin
von Groschenheftchen immer vorgestellt hatte. McCain verdient
seine Brötchen vor
allem mit der Überwachung untreuer Ehemänner. Es
gibt aber auch Klienten, die das Büro nur über
die Feuerleiter erreichen, zwielichtige Gestalten, über
deren Anliegen keine Akten angelegt werden.
Doch Rosie Winters Langeweile ist ein abruptes Ende beschieden. Wie es
sich für einen Kriminalroman, dessen ästhetisches Prinzip der spielerische
Umgang mit den Mustern des klassischen Detektivromans amerikanischer Prägung
ist, gehört, dauert es keine acht Seiten, bis unsere Heldin auf die Leiche
ihres Arbeitsgebers stößt. Diese hängt im Schrank, mittels eines Telefonkabels
an der Kleiderstange aufgeknüpft.
Das war Mord, weiß die künftige Amateurermittlerin,
während die Polizei, auch das kennen wir zu gut, auf
Selbsttötung
entscheidet. Und der entschieden unsympathische Lieutenant
Schmidt lässt keinen Zweifel daran, dass es ihm gar
nicht in den Kram passen würde, wenn jemand anderer
Meinung sein sollte. Doch solche Drohungen stacheln Rosies
Neugier erst so richtig an. Bald findet sie heraus, dass
McCain einem geheimnisvollen Bühnenmanuskript auf der
Spur war, an dem noch eine Reihe anderer, in ihren Methoden
nicht zimperliche Parteien interessiert sind. Wie weiland
der Malteserfalke entwickelt sich das verschwundene Theaterstück
zu einem veritablen McGuffin, um den sich die nicht ganz
unkomplizierte Handlung dieses mit allerlei postmodernen
Erzähltricks
aufgemöbelten Kriminalromans rankt. Das ist ganz clever
gemacht und sorgt für eine recht kurzweilige Lektüre
der immerhin fast 500 Seiten bis zum halbwegs glücklichen
Ende.
The War Against Miss Winter ist das Romandebüt der studierten
Theaterwissenschaftlerin Kathryn Miller Haines. (Der deutsche
Titel Miss Winters Hang zum Risiko scheint mir in
seiner deutlichen Orientierung an Peter Hoegs Bestseller Fräulein
Smillas Gefühl für Schnee ziemlich peinlich.)
Im kunterbunten
neuen Krimiprogramm des Suhrkamp Verlags ist das Buch offenbar
als Angebot für ein eher nostalgisch gestimmtes Lesepublikum
gedacht, dem man mit kleinen literarischen Spielereien eine
Freude machen kann. Der Untertitel "Rosie Winters erster
Fall" lässt vermuten, dass es nicht bei diesem
einen Auftritt bleiben wird und die beiden, in den USA bereits
erschienenen, Folgebände mit weiteren Abenteuern der
wortgewandten Hobby-Detektivin ebenfalls übersetzt werden. |
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: Leopard (Panserhjerte,
2009). Roman. Aus dem Norwegischen von Günther Frauenlob
und Maike Dörries. Berlin: Ullstein
Verlag 2010. 699 Seiten. € 21,95.
Dass hinter einer Mordserie nicht notwendigerweise
ein Serienmörder
stecken muss, weiß in Norwegen "jeder halbwegs
erfahrene Mordermittler". Der Kriminalist Eriksen ist
da keine Ausnahme.
"Damals dachten auch alle, es wäre ein Serienmörder
in Oslo unterwegs", belehrt er einen vorwitzigen Polizeieleven. "Als
sie den Täter fanden, stellte sich heraus, dass er nur
ein Motiv für den dritten Mord hatte. Da er aber wusste,
dass er in Verdacht geraten würde, wenn nur diese eine
Frau getötet
hätte, tötete er auch die anderen. Es sah
aus, als wäre ein
geisteskranker Serienmörder unterwegs." Dieser
Fall sei zur Legende geworden, erklärt uns kurz darauf
der Erzähler, ebenso
wie der, der ihn gelöst hatte. Und bei diesem genialen
Ermittler handelt es sich selbstredend um niemand anderen
als Harry Hole, den Experten für bizarre Morde, der
in Jo Nesbøs umfänglichem
Kriminalroman Leopard seinen achten Auftritt
hat.
Nun erinnert sich unsereiner auch an ähnlich gelagerte
Fälle. Allerdings
nicht, weil sie uns auf einer norwegischen Polizeischule
als "Musterbeispiel" nahegebracht worden wären.
Wir denken vielmehr an Cop Hater, Ed McBains
1956 im Original und 1964 in deutscher Übersetzung (Polizisten
leben gefährlich)
erschienenen ersten Roman über das 87. Polizeirevier.
Steve Carella und seine Kollegen glauben sich einem psychopathischen
Killer, der von einem krankhaften Hass auf Polizisten getrieben
ist, auf der Spur, um dann feststellen zu müssen, dass
es sich um ein Tarnmanöver für einen geplanten
Mord handelte. Eine Plotidee, die so verführerisch ist,
dass sie 33 Jahre später von der Autorin Paula Gosling
in ihrem Roman Backlash (deutsch Der Polizistenkiller,
1990) noch einmal verwendet wurde. Sie wird nicht die Einzige
geblieben sein.
Zu bezweifeln wäre allerdings, dass solch elaborierte
Mordpläne auch in der kriminellen Realität vorkommen.
Vielmehr gehören sie, ebenso wie all die ausgeklügelten
Pläne, unliebsame
Mitmenschen ums Leben zu bringen, von denen die Kriminalliteratur
seit ihren Anfängen zu erzählen weiß, als
genrespezifische Strukturelemente in die Welt der Fiktion.
Und diese sieht im Fall von Jo Nesbø folgendermaßen
aus: Da gibt es zunächst
einmal den brillanten Ermittler, der aber, wie man es seit
den frühen Psychopathenkrimis James Ellroys kennt, von
seiner ständigen Konfrontation mit dem Bösen gezeichnet
sein muss. Harry Hole ist ein (in diesem Roman weitgehend
trockener) Alkoholiker und gelegentlicher Opiumraucher, dem
sein eigenes Leben wenig wert zu sein scheint. Leopard beginnt
damit, dass er aus seinem Hongkonger Exil zurückgeholt
werden muss, um dem Osloer Morddezernat seine Expertise bei
der Aufklärung
einer rätselhaften Mordserie zur Verfügung zu stellen.
Dass sich zu der attraktiven Kollegin, die mit dieser Mission
betraut worden ist, ein engeres Verhältnis entwickelt,
ist ebenso unausweichlich wie der Umstand, dass die Dame
noch andere Verpflichtungen hat. Denn innerhalb des Polizeiapparates
gibt es eine ungute Konkurrenzsituation, die sich wenig förderlich
auf die Suche nach dem Killer auswirkt. Was diese angeht,
so kommt es schon bald nach der Ankunft Harry Holes in der
Heimat zu den ersten handfesten Resultaten. Der "brillante
Kommissar" (Klappentext) ist tatsächlich ein guter,
weniger intuitiv als logisch vorgehender Ermittler, und wenn
er nicht mehr weiterweiß, muss eine ehemalige Kollegin,
die aufgrund einer offenbar eher milden Geisteskrankheit
in einem Sanatorium einsitzt, das Internet konsultieren,
wo offenbar alle Informationen zu finden sind, die das Polizistenherz
begehrt. (Eine Studie, die die handlungstragende Rolle des
weltweiten Netzes in zeitgenössischen Kriminalromanen
untersucht, käme sicherlich
zu bemerkenswerten Ergebnissen.)
Kommen wir zum Mörder. Der ist, wie man es kennt, ein
ausgemachter Sadist und befindet sich auf einem Rachefeldzug.
Früh erlittene Verletzungen
wollen gesühnt werden. Der Plural ist hier nicht ohne
Grund gewählt worden, denn der Plot, den sich Nesbø ausgedacht
hat, erweist sich auf bemerkenswerte Weise als doppelbödig.
Das sorgt für einige Überraschungseffekte, zumal
der Autor einen auktorialen Erzähler beschäftigt,
der sein Wissen auf ausgesprochen ökonomische Art preisgibt.
Anders als mancher seiner skandinavischen Schriftstellerkollegen
verzichtet Nesbø weitgehend auf narratives Füllmaterial
und kommt dennoch auf gut 700 Seiten. Viel Buch fürs
Geld also. Wer sich ein Wochenende lang gut unterhalten möchte,
ein Faible für exotische
Mordinstrumente hat und den Typus des exzentrisch-genialen
Ermittlers in einer milden zeitgenössischen Variante
erleben möchte, wird hier bestens bedient. Große
Kriminalliteratur ist das nicht unbedingt. Vielmehr scheint
es so, als fänden
die nicht selten zu Unrecht als "Häkelkrimi" verspotteten
Detektivromane des so genannten "Goldenen Zeitalters" ausgerechnet
in den beliebten düsteren Schmökern aus dem hohen
Norden ihre legitimen Nachfolger. |
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: Talking
about Detective Fiction. Oxford: Bodleian Library
2009. 160 Seiten. € 16,00.
Literarischer Mord hält jung. Agatha
Christie schrieb 1974 mit über 80 ihre letzte Detektivgeschichte.
Auch ihre neuseeländische
Kollegin Ngaio Marsh hatte das Pensionsalter weit überschritten,
als sie 1982 ihren letzten Krimi vorlegte. Übertroffen
werden die beiden Vertreterinnen des klassischen angelsächsischen
Detektivromans allerdings von einer Dame, die bereits seit
vielen Jahren als ihre legitime Nachfolgerin gilt. Phyllis
Dorothy James, die vor beinahe einem halben Jahrhundert ihren
Ermittler Adam Dalgliesh von Scotland Yard seinen ersten
Fall lösen ließ (Cover her face, 1962,
deutsch Ein Spiel zuviel)
feiert in diesem Jahr ihren 90. Geburtstag, und es besteht
kein Anlass zu befürchten, dass ihre literarische Produktivität
erschöpft sei, auch wenn ihre letzten Veröffentlichungen
auf manche Leser wie Parodien des Genres wirkten.
Und schaut man sich die anderen Aktivitäten der alten
Dame an, so kann man nur staunen. Seit sie 1991 in den Adelsstand
erhoben wurde, sitzt sie für die Konservativen im House
of Lords und nimmt ihre Aufgaben offenbar sehr ernst. Erst
neulich konnte die britische Öffentlichkeit erleben,
dass Baroness James of Holland Park um ein offenes Wort nicht
verlegen ist, wenn ihr etwas gegen den Strich geht. Der Chef
der BBC jedenfalls geriet ins Stammeln, als ihm die streitbare
Dame in einer Radiodiskussion sein exorbitantes Jahresgehalt
vorwarf und ganz nebenbei die mangelhafte Qualität
so mancher Sendung der traditionsreichen Rundfunkanstalt
kritisierte. Doch das ist nur ein Aspekt des modernen Britanniens,
der ihren Unmut erregt.
Aber auch wer die konservative Grundeinstellung der Autorin
nicht teilen mag, wird den präzisen sozialen Realismus,
der die besten ihrer Romane auszeichnet, zu schätzen
wissen. P. D. James stellt an einen guten Kriminalroman die
gleichen Ansprüche wie an erzählende Literatur
generell. Ihr Maßstab
allerdings, das muss einschränkend gesagt werden, ist
die realistische Romanliteratur des 19. Jahrhunderts. Jane
Austen, Charles Dickens oder Charlotte Brontë sind Namen,
die sie in ihrer just erschienenen kleinen Geschichte des
Detektivromans englischer Prägung nennt. Talking
about Detective Fiction ist ein ausgesprochen unterhaltsames
und instruktives Büchlein.
Man könnte meinen, dass jemand wie P. D. James ein Loblied auf die Krimis des so genannten
Goldenen Zeitalters des Kriminalromans zwischen 1920 und
1940 anstimmen würde, doch genau das ist nicht der Fall.
Viele der berüchtigten Landhauskrimis seien von der großen
Leserschaft inzwischen zu Recht vergessen und nur noch für
die Historiker des Genres interessant. Sie versäumt es aber
nicht, präzise zu analysieren, warum Autorinnen wie Christie,
Marsh und Sayers heute noch immer populär sind, trotz der
offenkundigen Schwächen in manchen ihrer Romane. So sei die
Attraktivität der Lord-Peter-Romane von Dorothy Sayers weniger
auf die nicht selten überkomplexen Plots zurückzuführen,
sondern vielmehr auf die Atmosphäre des Luxus, die von der
Autorin übrigens bewusst kreiert wurde, um sich von den eigenen
materiellen Nöten abzulenken.
Von den amerikanischen Klassikern schätzt P. D. James
erwartungsgemäß
die Romane Ross Macdonalds am meisten. Ein Ermittler wie
Lew Archer zeichne sich durch ein großes Verständnis
für
die Abgründe menschlichen Leidens aus und sei in dieser
Hinsicht einem säkularisierten Father Brown nicht unähnlich.
Und, das darf man hinzufügen, ihrem eigenen Helden Dalgliesh
ebenfalls nicht. So verblüfft es kaum, dass die Romane
Dashiell Hammetts, in denen der unterkühlte Continental
Op ermittelt, bei aller Bewunderung für die literarische
Leistung ihres Autors eher leidenschaftslos abgehandelt
werden. Und wenn sie Hammetts Verfolgung durch McCarthys
Kommunistenjäger erwähnt, so scheint
es fast, als ob dieser die sechs Monate Gefängnis wegen
Aussageverweigerung verdient hätte. Warum war er auch
so unkooperativ, als man ihn aufforderte, Beweise gegen seine
früheren Genossen zu
liefern? Stellen wie diese lassen den Konservativismus von
P. D. James nicht mehr besonders mitfühlend erscheinen.
Doch solche Einwände bleiben marginal angesichts des großen
Lesevergnügens, das diese ebenso elegant wie meinungsfreudig
formulierte kleine Literaturgeschichte eines oft unterschätzten
Genres bietet. |
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: Hundert
Dollar Baby. Ein Fall für
Spenser (Hundred-Dollar Baby, 2006). Roman. Deutsch von
Emanuel Bergmann. Bielefeld: Pendragon 2009. 206 Seiten.
€ 9,90.
Es wird in den siebziger Jahren des vergangenen
Jahrhunderts gewesen sein, da tauchte der hartgesottene Ermittler
wieder auf. Um ehrlich zu sein: So ganz verschwunden war
er nie gewesen, der nach außen taffe, eigentlich aber
ziemlich sentimentale Knochen in der Philip-Marlowe-Nachfolge.
Erst 1976 hatte Ross Macdonald (1915 - 1983) seinen
Lew Archer zum letzten Mal die Abgründe finsterer Familiengeheimnisse
erforschen lassen (The Blue Hammer, deutsch Der
blaue Hammer, 1978).
Doch nun waren es relativ junge Autoren, die das Genre einer
gründlichen Modernisierung unterzogen. Dabei orientierten
sie sich nicht nur an mittlerweile kanonisierten Klassikern
wie Hammett, Chandler oder Macdonald, sondern ließen
sich auch von einem literarischen Rowdy wie Mickey Spillane,
dem seine ebenso erfolgreichen wie brutalen Mike-Hammer-Romane
einen finanziell durchaus lukrativen Paria-Status eingebracht
hatten, beeinflussen. Und sie waren erfolgreich damit. Auch
hierzulande fanden die Bücher von Loren D. Estleman,
Arthur Lyons und Stephen Greenleaf, um nur einige Namen zu
nennen, ihre Leser. Natürlich erschienen sie nicht als
teures Hardcover, sondern in den Taschenbuchreihen einschlägiger
Verlage wie Ullstein (die mit den hässlichen gelben
Covern), Bastei-Lübbe
oder Goldmann, die vor allem den Bahnhofsbuchhandel versorgten.
Seriöse Buchhändlerinnen, deren Krimisortiment
sich gewöhnlich
auf Rowohlt-Thriller und die hübsch gestalteten Diogenes-Bände
beschränkte, pflegten solche Ware nur mit spitzen Fingern
anzufassen. Das sollte sich in den kommenden Jahrzehnten
gründlich ändern, doch da hatten viele der privaten
Ermittler ihre Schnüfflertätigkeit schon wieder
eingestellt.
Zumindest für ihre deutschen Leser. Es erscheinen zum Beispiel zwar
noch immer neue Amos-Walker-Abenteuer von Estleman in den
USA, doch kein hiesiger Verlag scheint willens, sie übersetzen
zu lassen.
Auch Spenser, der seit 1973 in Boston seine Dienste anbietet,
wäre längst vom deutschen Buchmarkt verschwunden,
hätte sich
nicht der Bielefelder Pendragon Verlag seiner angenommen.
Mehr als dreißig Romane um den ebenso schlagfertigen
wie edelmütigen Privatdetektiv hat der 1932 geborene
Robert B. Parker verfasst, die meisten von ihnen erschienen
bis in die späten achtziger Jahre hinein in deutscher Übersetzung
bei Ullstein, und es gab sogar eine erfolgreiche Fernsehserie.
Dann hörte man lange nichts von Spenser, bis Die
blonde Witwe (Widow's Walk, 2002)
ein kleines Comeback einleitete. Inzwischen liegt, zur Freude
aller Liebhaber des Genres, mit Hundert Dollar Baby (Hundred-Dollar
Baby, 2006) der
vierte "Auftrag für Spenser" bei Pendragon
vor. Mehr als zwei Jahrzehnte ist es her, dass die damals
fünfzehnjährige
April Kyle von Spenser "gerettet" wurde (Ceremony,
1982, deutsch Einen Dollar für die Unschuld,
1983), die Anführungsstriche
deshalb, weil der Ermittler den problematischen Teenager
in die Hände einer Mrs. Utley gab, um sie vor Schlimmerem
zu bewahren. Und Mrs. Utleys Gewerbe war kein ehrbares. Mittlerweile
führt April selbst ein Edelbordell in Boston, das allerdings
in Schwierigkeiten steckt. Offenbar möchten örtliche
Gangster ein Stück vom Kuchen abhaben. Das zumindest
bekommt Spenser von seinem ehemaligen Schützling erzählt.
Natürlich ist es
kein Problem für ihn, den Fieslingen gemeinsam mit seinem
Partner Hawk eine gehörige Abreibung zu verpassen. Spenser
ist nämlich mit den Fäusten ebenso gut wie mit
dem Mundwerk.
Doch damit fängt die Geschichte erst an, denn die ganze Wahrheit
hat April ihn nicht wissen lassen. Oder, besser gesagt,
Spenser steht vor einem komplexen Lügengewebe, dessen Auflösung
ihn einiges an Arbeit kosten wird. Zum Glück für den Leser,
darf man hier sagen. Denn Robert B. Parker ist ein Meister
des ebenso knappen wie prägnanten Dialogs. Und das ist
für einen Roman, dessen komplizierter Plot vor allem durch
Wortwechsel transportiert wird, nicht unwichtig.
Auch wenn man es angesichts des Umstandes, dass er ein minderjähriges
Mädchen einer Puffmutter überantwortet, nicht glauben
mag: Spenser ist gewöhnlich ein Muster an politischer
Korrektheit. Ein verständnisvoller, literarisch gebildeter
Mann, der gerne für seine Lebensgefährtin Susan
Silverman kocht, und zu den meisten Dingen eine konsensfähige
Meinung vertritt. Leider ist die Welt draußen schlecht
und seine Handlungsmöglichkeiten,
siehe oben, manchmal begrenzt. Aber so stellten sich die
Dinge ja auch schon für Philip Marlowe dar. Vielleicht
lässt
sich Hundert Dollar Baby deshalb sowohl als Hommage
an wie als Parodie auf den klassischen Privatdetektivroman
lesen. Ein Vergnügen ist die Lektüre allemal. Und
das verdankt sich nicht zuletzt der punktgenauen Übersetzung
von Emanuel Bergmann. |
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: Das
Geld war schmutzig (Dirty Money, 2008).
Roman. Deutsch von Rudolf Hermstein. Wien: Zsolnay
2009. 253 Seiten. € 16,90.
Am 28. Juli 1972 schreibt die in der JVA
Essen inhaftierte Gudrun Ensslin an ihre Schwester Christiane.
Wie fast immer folgt dem eigentlichen Brieftext eine Bücherwunschliste.
Marx/Engels, Walter Benjamin, Brecht: Die Auswahl scheint
für die Mitbegründerin einer terroristischen Organisation,
die sich "Rote Armee Fraktion" nennt, zunächst
wenig überraschend.
Doch dann stutzt man. Unter all den Werken, die im revolutionären
Bücherschrank nicht fehlen durften, finden sich auch
Märchen
("Andersen, 1001 Nacht, Oscar Wilde") und "Kriminalromane
von Richard Stark, Goldmanns gelb, glaub' ich".
Warum eine linke Intellektuelle, die sich dem bewaffneten Kampf gegen die
bundesrepublikanische Gesellschaftsordnung verschrieben hatte, ausgerechnet
Romane lesen wollte, in denen immer wieder aufs Neue beschrieben wird,
wie ein weitgehend emotionsfreier, von keinerlei Skrupel geplagter Gangster
namens Parker Verbrechen als Geschäft betreibt, wird nicht mehr zu ergründen
sein. Vielleicht war Gudrun Ensslin von Parkers Amoralität fasziniert,
vielleicht erhoffte sie sich professionelle Hinweise. Schließlich waren
Banküberfälle die bevorzugte Methode der RAF, ihre "Kriegskasse" zu füllen.
Ideologisch jedenfalls passt Parker überhaupt nicht zu den linksterroristischen
Gruppen, die sich nach 1968 in der Bundesrepublik bildeten, ist er doch
der freie Unternehmer par excellence, allerdings einer, den die Regeln
des kapitalistischen Wettbewerbs genauso wenig interessieren wie das Strafgesetzbuch.
Es ist müßig, aber nicht uninteressant, darüber zu spekulieren, ob ein
Mann von Parkers Fähigkeiten nicht erfolgreicher innerhalb des Systems
arbeiten könnte. Fraglich bleibt natürlich, ob Richard Stark - unter diesem
Pseudonym verfasste der im vergangenen Jahr verstorbene amerikanische Schriftsteller
Donald E. Westlake insgesamt 27 Parker-Romane - sich ähnlich produktiv
den Abgründen des Finanzkapitalismus hätte widmen wollen. Ein professioneller
Straftäter, der gegebenenfalls auch vollkommen leidenschaftslos foltert
und mordet, ist als literarische Figur wahrscheinlich reizvoller als ein
gerissener Investmentbanker. (Und vielleicht ebenso realistisch: Man denke
an die kriminelle Karriere des vor kurzem gefassten Thomas Wolf, deren
Romantauglichkeit in beinahe jedem Pressebericht zum Thema behauptet wurde.)
Zwischen 1968 und 1972 sind genau dreizehn Parker-Romane
in deutscher Übersetzung
erschienen, allerdings nicht bei Goldmann, wie Gudrun Ensslin
vermutete, sondern bei Ullstein Krimis. Während Rowohlts
Thrillerreihe (unter anderem mit den seit 1968 publizierten
gesellschaftskritischen Romanen von Maj Sjöwall und
Per Wahlöö) um die Reputation des Krimis
im linksintellektuellen Milieu bemüht war, galten die
gelben Ullstein-Bände als Lesefutter für die Kunden
der Bahnhofsbuchhandlungen. Und waren damit eigentlich der
richtige Publikationsort für die ebenso taffen wie lakonischen
Spannungsromane des Richard Stark, deren amerikanische Ausgaben
schließlich
auch als Paperback-Originale bei Pocket Books erschienen
waren, und zwar Schlag auf Schlag. Seinen ersten Auftritt
hat er 1962 in The Hunter (deutsch Jetzt
sind wir quitt),
1967 als Point Blank mit Lee Marvin und Angie
Dickinson verfilmt, dann folgen bis 1964 drei weitere Romane,
in denen sich Parkers Charisma entwickelt. Denn erst das
neue Gesicht, zu dem ihm im zweiten Band The Man With
the Getaway Face (deutsch Parkers Rache)
ein plastischer Chirurg verhilft, macht Parker zu dem eiskalten
kriminalistischen Profi, der bis heute einen unwiderstehlichen
Reiz auf Leser aller Kategorien, unter ihnen ausgewiesene
High-Brow-Autoren wie John Banville oder Michael Ondaatje,
auszuüben scheint.
In The Hunter nämlich ist er noch auf Rache
aus. Rache an seinem ehemaligen Komplizen und Rache an der
Frau, die ihn verraten hat. Stark/Westlake scheut sich nicht,
ganz tief in die Pathoskiste zu greifen, um diesen "Jäger" in
all seiner Bedrohlichkeit zu charakterisieren. (Nicht nur,
aber auch, weil die deutschsprachige Ausgabe wie alle frühen
Parker-Romane seit Jahren vergriffen ist, zitiere ich im
Original.)
"The office women looked at him and shivered. They knew
he was a bastard, they knew his big hands were born to slap
with, they knew his face would never break into a smile when
he looked for a woman. They knew what he was, they thanked
God for their husbands, and they still shivered. Because
they knew how he would fall on a woman in the night. Like
a tree."
Am Ende des Romans lächelt er sogar. Er hat seine Vergangenheit
hinter sich gelassen, aber nicht verlernt, was er über
gesetzwidrige Methoden an Geld zu kommen, weiß. "A
new face now, and the old pattern. He looked out of the window
and smiled". Und
schon im nächsten Roman The Outfit (deutsch Die
Gorillas)
gelingt es im fast spielerisch, ein ganzes Gangstersyndikat
mattzusetzen. Und dann etabliert sich das Erfolgsmuster,
dem in immer neuen Variationen alle Parker-Romane folgen.
Es gibt einen Plan, es gibt eine Crew. Parker arbeitet zwar
auf eigene Rechnung, aber fast nie allein. Die "Arbeit" beginnt.
Und dann geht etwas schief. Oft sind es einer oder mehrere
Komplizen, die sich nicht an die Abmachungen halten. Oder
eigene Pläne verfolgen. Wenn es hart auf hart geht,
ist Parker froh, seine Haut zu retten. Meistens jedoch kann
er seinen Schnitt machen.
Wahrscheinlich ist es die Virtuosität, mit der Stark/Westlake
dieses Muster immer wieder neu und immer wieder verblüffend
durchspielt, die ihm den ungeteilten Respekt der Zunft eingetragen
hat. Was in den sechziger Jahren als billiges Taschenbuch
erschien, kommt heute, mit Vorwort, als schickes Paperback
in einem renommierten Verlag (University of Chicago Press)
heraus.
Hierzulande allerdings hat es ziemlich lange gedauert, bis
wieder ein Verlag auf Parker stieß. In den achtziger
Jahren erschienen bei Ullstein noch einige Wiederauflagen älterer
Titel, darunter Blutiger
Mond (Butcher's Moon), jener Roman,
mit dem Parker 1974 in den vorläufigen Ruhestand geschickt
wurde. Als er jedoch 1997 sein Comeback, so der
Titel des Buches, feierte, fiel das hierzulande kaum jemandem
auf. Erst 2007, inzwischen waren bereits sieben neue Parker-Romane
erschienen, griff der Zsolnay Verlag zu, ließ Ask
the Parrot übersetzen und landete einen
beachtlichen Erfolg bei Lesern und Kritik gleichermaßen. Nun liegen die letzten
drei, in sich zusammenhängenden Abenteuer des Meisterkriminellen
in stattlichen schwarzen Paperbacks vor und man kann sie
auch in der richtigen Reihenfolge lesen. Das heißt,
zuerst
Keiner rennt für immer (Nobody Runs Forever),
dann Fragen
Sie den Papagei und schließlich Das Geld
war schmutzig
(Dirty Money). In dieser Quasi-Trilogie findet sich
all das, was den Reiz der Parker-Romane schon immer ausgemacht
hat. Konfrontiert mit einem offenkundig gewissenlosen Radikal-Egoisten
zeigen sich die akzeptierte Gesellschaftsordnung und die
weitgehend konform mit ihr agierenden Individuen in all
ihrer Schwäche. "Der Mensch ist gar nicht gut,
drum hau ihm auf den Hut", heißt es in Brechts Dreigroschenoper.
Parker übernimmt diese, für die Betroffenen oft
schmerzliche, Aufgabe aus ureigenstem Interesse und zu unserem
Vergnügen.
Moralisch einwandfrei ist das sicherlich nicht. Aber wann
wäre Kunst das schon? |
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: Alte
Wunden. Ein Auftrag für Spenser
(Back Story, 2003). Roman. Deutsch von Emanuel
Bergmann. Bielefeld: Pendragon 2010. 221 Seiten. € 9,95.
Meist sind sie mindestens vierhundert Seiten
dick, haben knallige Umschläge und tragen wüste
Titel, in denen bevorzugt Adjektive wie "tödlich" oder "blutig" auftauchen.
Sie nennen sich gerne "Krimi des Monats", "Top-Thriller" oder
einfach
"Bestseller". Den Namen des Autors habe ich in
der Regel noch nie zuvor gehört. Übersetzt sind
sie zumeist aus dem Englischen, und wenn ich Glück habe,
wurde diese Aufgabe jemandem anvertraut, der nicht nur die
fremde, sondern auch seine Muttersprache beherrscht. Das
ist leider nicht immer der Fall. Manchmal möchte ich
die Lektüre schon nach zehn Seiten
abbrechen und das Druckwerk der Altpapiertonne zuführen,
doch ich bringe es noch immer nicht übers Herz, Bücher
wegzuwerfen. Außerdem lese ich nicht zum Spaß,
sondern im Auftrag.
Ich bin Krimikritiker. Leben kann man davon nicht, dafür
ist das Salär
nicht üppig genug. Eher handelt es sich um eine fehlgeleitete
Leidenschaft. In einem früheren Leben nämlich war
ich ein schlichter Krimileser. Und kein besonders wählerischer:
Edgar Wallace, Dorothy Sayers, Raymond
Chandler oder Rex Stout, ich verschlang, was mir in die Finger
kam. Irgendwann, es dürfte ungefähr 25 Jahre her
sein, schrieb ich meinen ersten Lesetipp für ein Studentenmagazin.
Von da an wurden mir die Rezensionsexemplare paketweise ins
Haus geliefert. Da es sich in der Regel um Taschenbücher
mit einem Umfang von unter zweihundert Seiten handelte, kam
ich mit der Lektüre gut nach. (Obwohl ich gestehen muss,
dass sich noch manches gelbe Ullstein-Bändchen von
1986 ungelesen in meinem Krimiregal versteckt.) Außerdem
waren die 1980er Jahre die Blütezeit der privaten Ermittler.
Autoren wie Stephen Greenleaf, Arthur Lyons, Michael Collins
und Loren D. Estleman hatten die Tradition des harten Detektivromans
wiederbelebt. Sie verstanden ihr Handwerk, schrieben knapp
und lakonisch. Das waren Bücher, die man
gut in Vorortzügen lesen konnte. Und die eigentlich
gar keine Kritiker benötigten.
Das ist lange her. Heute muss man schon darauf hinweisen,
wenn ein Kriminalroman erscheint, der all die oben genannten
Vorzüge vereinigt. Dessen pointierte
Dialoge, milde Selbstironie und flotter, nicht allzu verrätselter
Plot für eine ebenso entspannte wie vergnügliche
Lektüre sorgen. Und der uns
nicht schwer in der Hand liegt. Da ist man gerne Leser und
Kritiker zugleich.
Alte Wunden heißt dieses Kleinod, und sein Verfasser
ist der leider jüngst
verstorbene Robert B. Parker. Für ein Honorar von sechs
Donuts versucht der unverwüstliche Spenser zu ermitteln,
wer die Mutter seiner Klientin bei einem Banküberfall
im Jahre 1974 erschossen hat. Doch was er herausfindet, stimmt
seine Auftraggeberin nicht glücklich. Außerdem
gibt es eine Menge Leichen. Mehr muss man eigentlich nicht
wissen. Parker liefert verlässlich
Qualität. Und die merkt man auch der sehr gelungenen
deutschen Übersetzung
von Emanuel Bergmann an. Ein Kompliment an den Bielefelder
Pendragon Verlag, dem für seine Parker-Edition so manche
Lokalkrimisünde verziehen sei. Womit
wir bei einem anderen wunden Punkt im Leben des Krimikritikers
angelangt wären. Aber davon erzähle ich ein anderes
Mal. |
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: Der
Mann vom Jahrmarkt. Bielefeld: Pendragon 2010.
304 Seiten. € 10,95.
Im ostwestfälischen Detmold wird eine junge Frau erfroren
auf einer Parkbank gefunden. Es gibt keine Anzeichen äußerlicher
Gewaltanwendung. Den Abend zuvor hatte sie mit Freundinnen
auf der Andreasmesse, einem traditionellen Jahrmarkt, verbracht.
Die Kriminalpolizei ist zunächst ratlos. Als sich jedoch
eine Zeugin meldet, die berichtet, wie ihr ein Kirmesbesuch,
in diesem Fall des Pollhansmarktes im 25 Kilometer entfernten
Schloss Holte, durch einen "Filmriss" vergällt worden sei,
hat Kommissar Wilke einen schlimmen Verdacht. Jemand scheint
den Frauen eine Droge verabreicht zu haben. Ein Wiederholungstäter
also, der den Kirmesrummel nutzt, um seine Opfer auszuspionieren
und sie sich dann, zu welchem Zweck auch immer, gefügig zu
machen.
Während Wilke und sein Kollege Rothmann noch rätseln, was das Motiv dieses
absonderlichen, aber skrupellos agierenden Unholds wohl sein mag, ist der
Leser längst informiert.
"Der Mann vom Jahrmarkt", dessen ausführliches
Psychogramm im Mittelpunkt von Renée Pleyters gleichnamigem
Thriller steht, heißt Albert Stahl und
arbeitet während der Saison auf allen großen westfälischen
Jahrmärkten
für den Betreiber eines Festzeltes. Was ihn dazu bewegt,
Mädchen mit der
Droge Liquid Extasy außer Gefecht zu setzen, sie dann
zu schminken und zu kostümieren, um schließlich
Fotos von ihnen zu machen, wird durch einen Rückblick
in seine schreckensreiche Kindheit und Jugend zumindest ansatzweise
erklärt. Gepeinigt von einer bigotten Mutter flüchtet
sich der kleine Albert in die Obhut seiner älteren Schwester
Bettina, deren Verhalten ihm aber auch zunehmend rätselhaft
erscheint. Wie es weitergeht, sei an dieser Stelle ebenso
wenig verraten wie die umfassende und für aufmerksame
Leser wenig
überraschende Aufklärung des Falles auf den letzten
dreißig Seiten des
Buches. Wer also, von der vollmundigen Verlagswerbung irregeleitet,
ein zünftiges "Whodunnit" im Schaustellermilieu
verspricht, wird enttäuscht
werden, denn damit kann der Roman nicht aufwarten.
Stattdessen begibt sich die Autorin mit diesem über
weite Strecken packend geschriebenen Psychothriller auf ein
vom Spannungsaufbau her nicht unproblematisches Feld, denn
sie muss das Interesse des Lesers vom Plot weg- und hin zur
Persönlichkeit
des Täters lenken. Dass ihr dieses Kunststück gelingt,
macht Der Mann
vom Jahrmarkt zu einem bemerkenswerten Exemplar des Genres. |
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: Die
Blutkammer (The Drop Room). Roman.
Deutsch von Rasha Khayat. Reinbek: rororo 2009. 447 Seiten. €
8,95.
Nicht mehr zu überblicken
ist die Anzahl dilettantischer Versuche, dem eh schon abgeschmackten
Sub-Genre des Ritualmord-Thrillers weitere Varianten hinzuzufügen.
Ein besonders abschreckendes Beispiel kommt dieser Tage
aus England zu uns. Jo Powell, studierte Juristin, Literaturwissenschaftlerin,
Journalistin und, man lese und staune, gelegentliche Dozentin
für kreatives Schreiben, hat einen Roman verfasst, dem
man seine klischeegetränkte Figurenkonstellation noch verzeihen
würde, besäße er wenigstens ein Fünkchen Spannung. Doch
leider hat sich die Autorin entschieden, ihre Gruselgeschichte
um eine Mordserie an esoterisch angehauchten Frauen auf
eine Weise zu erzählen, die es auch dem unaufmerksamsten
Leser möglich macht, bereits nach weniger als 80 von immerhin
447 Seiten den Täter zu identifizieren. Dieser darf nämlich
immer wieder direkt zum Leser sprechen, und da es sich
um ein ausgesprochen großmäuliges Exemplar der Gattung
handelt, sind diese Passagen alles andere als ein Vergnügen.
"Ich bin auserwählt. Nach der letzten Nacht werde ich es
nie wieder bezweifeln", lässt er uns nach seinem dritten
Mord wissen. Und irgendwann erfahren wir auch, was ihn
zu seinen Taten treibt. Wie vermutet, liegt die Ursache
in seiner Kindheit. Und schuld ist die Mutter. Wie sollte
es auch anders sein?
Die Blutkammer heißt im Original The
Drop Room. Allein,
wer nach der englischen Ausgabe fahndet, um zu überprüfen,
ob der hölzerne Stil des Buches der Übersetzung
geschuldet ist, wird enttäuscht. In ihrer Heimat hat
die Autorin offenbar noch keinen Verlag für ihr Romandebüt
gefunden. Glückliches
Britannien. |
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: Wenn
die Dämmerung naht. Ein
Alan-Banks-Krimi (Friend of the Devil,
2007). Aus dem Englischen von Andrea Fischer. Berlin:
Ullstein 2010. 460 Seiten. € 22,95.
Eigentlich haben die beiden Morde nichts
miteinander zu tun. An Yorkshires steiler Küste wird
einer hilflosen Frau im Rollstuhl die Kehle durchgeschnitten,
und in einem Kneipenviertel der (fiktiven) Stadt Eastvale
fällt eine Neunzehnjährige
einem Sexualverbrechen zum Opfer. Während sich Detective
Inspector Annie Cabbot um den Mord am Meer kümmert,
versucht Detective Chief Inspector Alan Banks herauszufinden,
ob sich unter vergnügungssüchtigen jungen Leuten,
die an jedem Wochenende die Innenstadt zur Partyzone erklären,
ein Mörder befindet.
Bei ihren Ermittlungen stoßen die beiden Kriminalisten
auf Merkwürdigkeiten - so lässt sich zunächst
fast nichts über
die Identität des ersten Opfers herausbekommen -,
doch nach einer Weile wird klar, dass eine Verbindung zu
einem der grausigsten Verbrechen, mit dessen Aufklärung
Banks und Cabbot je betraut waren, besteht. Nachlesen lässt
sich der Fall in einem Kriminalroman, der 2003 unter dem
einigermaßen blöden
'denglischen' Titel Wenn die Dunkelheit
fällt erschienen
ist. (Das Original heißt, wie das Stones-Album von
1966, schlicht
Aftermath.)
In seinem inzwischen 17. Alan-Banks-Roman, sinnigerweise Wenn
die Dämmerung
naht betitelt, greift der in Kanada lebende englische
Autor Peter Robinson die alte Geschichte wieder auf. Und
zeigt, dass es eine Vergangenheit gibt, die einfach nicht
vergehen will.
Waren die ersten Romane Robinsons noch relativ schlicht gestrickte
Whodunnits, so erweist er sich spätestens seit dem 1999
erschienenen In
a Dry Season
(deutsch In einem heißen Sommer), mit
dem ihm auch hierzulande der Durchbruch gelang, als ein Meister
komplexer Plots. Auch in Wenn die Dämmerung naht
versteht er sich darauf, seine Leser in die Irre zu führen,
um dann doch ihre schlimmsten Befürchtungen wahr werden
zu lassen.
Ein harmloses Spiel mit falschen Fährten ist das allerdings
nicht. Jede Nebenhandlung trägt das Ihre zu Robinsons
großem Thema, und das ist der
Stand der Geschlechterverhältnisse nach der Auflösung
der tradierten Rollenmuster in der zweiten Hälfte des
vergangenen Jahrhunderts, bei. Da sieht es offenbar finster
aus. Annie Cabbot muss sich der penetranten Avancen eines
Jungspunds erwehren, mit dem sie in trunkenem Zustand eine
Nacht verbracht hat, der Vater eines Mordopfers erfährt
vom Tod der Tochter, während er sich munter
einem Seitensprung hingibt, und die schwarze Polizistin Winsome
Jackman lernt, dass ihre strikten Moralvorstellungen im heutigen
Britannien vollkommen deplatziert wirken. Und so sehr man
es dem sympathischen Banks auch gönnen
würde, dass das gegen Ende des Romans sich andeutende
private Glück konkretere
Formen annimmt, wirklich dran glauben mag man nicht. Dass
mit dieser Welt etwas nicht stimmt, wüsste man also
schon, ohne die aufzuklärenden Verbrechen,
deren Dimensionen sich der schlichten Inhaltswiedergabe entziehen,
zu berücksichtigen.
Zwar nicht Rettung, aber Linderung verspricht da die Kultur.
Banks liest anspruchsvolle Bücher und kennt sich mit
Musik, sei es Blues, Jazz oder Klassik, bestens aus. Und
wenn er einen unliebsamen Kollegen charakterisieren möchte,
fällt ihm eine klassische Romanfigur ein. An solchen
Stellen hätte
man ihn gerne ein wenig primitiver. Doch das ist wohl eine
Frage des persönlichen
Geschmacks. Peter Robinson bewegt sich eben immer noch auf
jenem Terrain, das einst von Autorinnen wie P. D. James und
Ruth Rendell abgesteckt wurde.
Noch ein Wort zur Übersetzung: Abgesehen von dem einen
oder anderen Anglizismus hat Andrea Fischer den Roman in
ein gut lesbares flüssiges Deutsch gebracht.
Und für die Titelwahl kann sie ja wahrscheinlich nichts. |
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: Flip
Rouge. Roman. Bielefeld: Pendragon 2009.
256 Seiten. € 9,90.
Sechs Millionen Franc hatten sie bei dem Überfall
auf einen Geldtransporter erbeutet. Mehr als genug für
ein angenehmes Leben. Doch dann wird der Euro eingeführt.
Und die regelmäßigen
Überweisungen, mit denen Jean Rivette sein karges Kellnersalär
aufbessern konnte, bleiben aus. Nun muss er seinen Zufluchtsort
in der Schweiz verlassen und zurück nach Marseille,
wo sein Komplize das Geld verwahrt. Er weiß nicht,
dass ihn die Polizei schon erwartet.
Kommissar Luc Garnier hat Jean Rivette nicht vergessen. Schließlich
sind bei dem Überfall zwei Wachleute ermordet worden.
Das Bild des Täters hing
jahrelang über seinem Schreibtisch. Als seine Tochter
Julie, die in der Schweiz eine Ausbildung absolviert, anruft
und ihm erzählt, dass sie in
dem Kellner eines Berggasthofs Rivette erkannt habe, ist
er alarmiert.
Jill Fay will weg aus Perpignan. Raus aus der schäbigen Hochhauswohnung, die
sie mit ihrer psychisch labilen Mutter teilt. In Marseille wartet bereits
ihr Freund Ollie auf sie. Das hofft sie zumindest. Und sie hält es für
einen glücklichen Zufall, als der junge Fahrer eines luxuriösen Geländewagens
anbietet, sie bis kurz vor Marseille mitzunehmen.
Dies sind nur einige der Geschichten, die Alexander Schwarz
in seinem Krimi-Debüt Flip rouge zu einem
ebenso komplexen wie furiosen Plot zusammenführt. "Flip
rouge", das steht
für eine neue synthetische Droge mit einem tödlichen
Potenzial. Unter den Süchtigen Marseilles hat sie bereits
acht Opfer gefordert. Gleichzeitig scheint unter den Drogenbanden
an der Côte d'Azur ein brutaler Machtkampf ausgebrochen
zu sein. Und niemand weiß, wer die Fäden zieht.
Andere Autoren hätten einen solchen Stoff auf mindestens
500 Seiten gestreckt. Alexander Schwarz kommt durch eine
Redundanzen weitgehend vermeidende Erzählweise mit der
Hälfte
aus und hält so die Spannung auf einem durchgängig
hohen Niveau.
Ähnlich ökonomisch wünschte man sich allerdings
manchmal auch die sprachliche Gestaltung dieses bemerkenswerten
Kriminalromans. Muss das Kunstlicht des anatomischen Instituts,
in dem die Leichen der Drogentoten untersucht werden, unbedingt
mit dem Klischee-Attribut "gnadenlos" versehen
werden? Und das sofort auf der ersten Seite. Dabei versteht
sich der Autor, wie die folgenden Kapitel zeigen, durchaus
auf einen knappen, harten Stil.
Doch genug der Mäkelei: Angesichts der Flut grotesker
Psychothriller, abstruser Serienkillerepen und dilettantischer
Mordgeschichten aus der Region ist die Freude über einen
handwerklich akzeptablen, wohltuend konzentrierten Spannungsroman
groß. Und die Ankündigung
des Verlages, dass es sich bei Flip rouge um den ersten
Band einer Trilogie handelt, betrachtet man angesichts des
offenen Endes nicht als Drohung, sondern als Versprechen. |
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: Staub
im Paradies. Roman. Dortmund: Grafit
2009. 222 Seiten. € 8,50.
Der im letzten Jahr zu früh verstorbene
Schweizer Autor Ernst Solér hat sich mit seinen Romanen
um den Kriminalisten Fred Staub in nur wenigen Jahren einen
guten Ruf erschrieben. Das liegt sicherlich nicht zuletzt
an seiner Hauptfigur, dem eigenwilligen, gelegentlich recht
unverträglichen Hauptmann
der Zürcher Kantonspolizei. Aber auch Solérs
Talent, einen sauberen, wenn auch nicht immer überraschungsreichen
Plot zu konstruieren, trägt dazu bei, dass man seine
Bücher nie
mit dem Gefühl aus der Hand gelegt hat, seine Zeit verschwendet
zu haben. Und dies ist angesichts des reichen Angebots an
überflüssiger Kriminalliteratur durchaus bemerkenswert.
Staub im Paradies also, Solérs vierter Roman,
wird der letzte Fall des störrischen Ermittlers bleiben.
Tätig wird er dieses Mal nicht im heimischen
Revier. Mit Frau, Sohn und dessen Freundin besucht er seine
Tochter Anna, die in Sri Lanka für ein internationales
Forschungsprojekt arbeitet. Doch kaum angekommen, wird er
Zeuge eines Anschlags, dem ein Kollege seiner Tochter zum
Opfer fällt. Selbstredend beginnt Staub seinen einheimischen
Kollegen bei der Suche nach dem Mörder zu unterstützen.
Dies gestaltet sich jedoch gar nicht so einfach, sind die
Auswirkungen des Bürgerkrieges
zwischen tamilischen Rebellen und der Armee der Zentralregierung
auch im Alltag ständig spürbar.
Während also der Chef sein kriminalistisches Gespür auf fremdem Terrain
erprobt, sehen sich seine Kollegen daheim in Zürich mit einem rätselhaften
Mord konfrontiert. Ein Tamile ist erstochen aufgefunden worden. Nun sind
Ermittlungen in einem wenig auskunftsfreudigen Milieu notwendig.
Wie es sich für einen Krimi gehört, sind beide Fälle miteinander verbunden.
Und irgendwann glaubt Staub, trotz aller Widerstände die Lösung gefunden
zu haben. Dass dem nicht so ist, gehört zu den Stärken dieses Romans. Tatsächlich
erweisen sich im Nachhinein die Ermittlungsergebnisse, auf die der landesfremde
Polizist ziemlich stolz ist, als zu einem nicht geringen Teil als Fiktion.
Und so wird aus einer Detektivgeschichte mit exotischem Flair beinahe ein
veritabler Politthriller.
Schon aus diesem Grund war es kein ungeschickter Zug Solérs, für die Sri-Lanka-Kapitel
Staub selbst als Erzähler (und dazu noch im Präsens) einzusetzen. Dagegen
fallen die in Zürich spielenden Szenen ein wenig ab, nicht zuletzt, weil
sich hier manchmal ein allzu betulicher Erzählton einschleicht. Doch dieses
Manko ist angesichts der überzeugenden Gesamtkonstruktion durchaus zu vernachlässigen. |
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: Tödlicher
Mittsommer (I de lugnaste vatten,
2008). Deutsch von Dagmar Lendt. Köln: Kiepenheuer & Witsch
2010. 378 Seiten. € 14,95.
"Seit dem Tag, an dem ich als kleines neugeborenes Baby
zum ersten Mal hinaus nach Sandhamn kam, wo meine Familie
seit hundert Jahren ein Sommerhaus besitzt, liebe ich diese
Insel", erklärt uns die Krimi-Novizin Viveca Sten, im Hauptberuf
Chefjuristin der schwedischen Post, im Nachwort zu ihrem
Debütroman. Die Idee, hier eine Kriminalgeschichte spielen
zu lassen, sei "einfach unwiderstehlich" gewesen.
Unwiderstehlich sind Bücher dieser Art auch für
deutsche Verlage, die am offenbar immer noch florierenden
Geschäft mit skandinavischen Kriminalromanen
teilhaben wollen. Deshalb liegt jetzt ein strammes Paperback
von fast 380 Seiten mit dem Titel Tödlicher Mittsommer vor
uns.
Gleich drei seltsame Todesfälle erschüttern die Inselidylle. Aufgeklärt
werden sie ab Seite 320, als der attraktive Kriminalkommissar Thomas Andreasson
und seine Kollegin Carina endlich die Wohnung des ersten Opfers gründlich
durchsuchen. Vorher haben die beiden Ermittler eine falsche Fährte verfolgt.
Die verbleibenden Seiten des Romans nutzt die Autorin, um ein wenig Spannung
aufkommen zu lassen. Den Mörder zu kennen und ihn dingfest zu machen, sind
schließlich zwei verschiedene Dinge.
Wer nun meint, solch ein Plot sei ein wenig dürftig
für einen Kriminalroman, liegt sicher nicht
ganz falsch. Doch Viveca Sten hat mehr zu bieten. So zeigt
uns die ebenso engagiert wie ausführlich geschilderte
Geschichte der Ehekrise einer Jugendfreundin des Ermittlers,
die mit ihrer Familie auf der Insel Urlaub macht, dass es
auch in Schweden Männer
gibt, die ein ausgesprochen traditionelles Rollenverhalten
pflegen. Wem diese Anleihen beim Schicksalsroman noch nicht
reichen, der darf sich an den Reiseführerqualitäten
des Buches erfreuen. Es gibt nämlich viel über
die Inseln im Schärengarten vor Stockholm zu erzählen,
und das tut die Autorin mit Leidenschaft. "Tödlicher
Mittsommer ist ein
Kriminalroman, der beim Leser den tiefen Wunsch weckt,
selbst den Sommer auf Sandhamn zu verbringen", verspricht
der Klappentext. Eine leere Drohung ist das nicht. |
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: Kuhdoo
[ku:du]. Ploteks fünfter Fall. Kriminalroman.
München: Heyne 2010. 413 Seiten. € 8,95.
Er ist unverschämt, faul und geizig.
Neuen Fällen widmet
er sich nur ungern, und wenn er trotzdem dazu gezwungen wird,
verhaftet er gerne den erstbesten Verdächtigen. Die
tatsächliche
Ermittlungsarbeit bleibt seinem Sergeant überlassen,
der zudem noch die Drinks seines notorisch klammen, aber
umso durstigeren Vorgesetzten bezahlen muss. Was die Zusammenarbeit
außerdem erschwert, ist die mangelhafte Körperhygiene
des
übergewichtigen Kriminalisten. Er sei der einzige
Polizeibeamte, dessen Achselbehaarung von Schuppen befallen
sei, lautet ein unbestätigtes Gerücht, das in seiner
Dienststelle kursiert. Nachgeprüft hat es aus naheliegenden
Gründen niemand.
Dass Chief Inspector Wilfred Dover, zur Verwunderung des Lesers, dennoch
seine Fälle zu lösen versteht, ist seiner Erfahrung und einer gewissen
Bauernschläue geschuldet.
Zwischen 1964 und 1980 hat die 1990 verstorbene englische
Schriftstellerin Joyce Porter zehn Kriminalromane um den
unsympathischen Ermittler veröffentlicht,
die deutschen Übersetzungen erschienen als rororo-Thriller.
Ein großes
Lesepublikum war ihnen nicht beschieden. Vielleicht war die
Zeit einfach noch nicht reif für britische Skurrilitäten
dieser Art.
Heute könnte das anders aussehen. Schließlich
hat Joyce Porter mit Chief Inspector Dover einen komischen
Anti-Helden par excellence erfunden, dessen Präsenz
genügt,
um einen parodistischen Effekt zu erzeugen. Ein Muster, das
in den letzten Jahren immer wieder gerne aufgegriffen wurde,
wenn es darum ging, dem Kriminalgenre humoristisch zu Leibe
zu rücken. Mit
beachtlichem Erfolg scheint dies Sobo Swobodnik, ein auf
der Schwäbischen Alm aufgewachsener und heute in Berlin
lebender Autor und Filmemacher, zu tun. Vier Fälle
hat er seinen Ermittler, den arbeitslosen und trinkfreudigen
Schauspieler Paul Plotek, bereits für den Deutschen
Taschenbuchverlag lösen lassen, nun liegt Band 5 als
dickleibiges Heyne-Taschenbuch vor. Kuhdoo heißt
das vom Verlag mit viel Tamtam als
"Mischung aus Klüpfel/Kobr und Wolf Haas" angepriesene
Epos, in dem ein trauriger Anlass Plotek zurück in sein
Heimatdorf - und das liegt, wie man sich denken kann,
auf der Schwäbischen Alb - treibt. Sein Vater
steckte tot im Häcksler. Schon bald wird klar, dass
er nicht auf natürlichem
Wege ums Leben gekommen ist. Weitere Todesfälle lassen
vermuten, dass in der nur scheinbar idyllischen Provinz
ein besonders bösartiger Serienmörder unterwegs
ist. Und der gewöhnlich ziemlich träge Plotek beginnt,
Nachforschungen anzustellen. Dabei wird er von seinem alten
Schulkameraden Vinzi, einem beinamputierten Altfreak, der
seinen Lebensunterhalt mit dem Vertrieb gebrauchter Damenschlüpfer
bestreitet, tatkräftig unterstützt.
Man sieht, dass es dem Autor nicht an Ideen, denen man eine gewisse Originalität kaum bestreiten
kann, mangelt. Er versteht es auch, einen akzeptablen Krimiplot
zusammenzustricken. Was ihm aber fehlt, ist ein Sinn für
Erzählökonomie. Verliebt in die eigene Eloquenz reiht er
Wort an Wort, Satz an Satz, ohne dass der Text an Witz
gewönne. Greifen wir ein beliebiges Beispiel heraus: "Plotek griff nach dem Kuvert.
Er riss es der Juniorchefin aus der Hand, steckte es in
die Sakkotasche, ohne weder der Juniorchefin noch dem Brief
einen weiteren Blick zu schenken, und verließ das Hotel.
Die Juniorchefin blieb leicht gekränkt und ziemlich verärgert
zurück. Auf dem Parkplatz vor dem Hotel überlegte Plotek
kurz, ob er den im strahlenden Morgenlicht äußerst anmutigen
Mercedes nehmen sollte. Doch diesen Gedanken verwarf er
kurzerhand wieder." Und so weiter. Offenbar sitzt der Autor
dem Irrtum auf, Redundanz sei per se komisch.
In den folgenden Zeilen wird geschildert, was Plotek über
Golfspieler
- Swobodnik schreibt von Hotelgästen, die "sich
von einem kleinen gelben Ball zum Narren halten ließen",
und hat schon wieder einen Schmunzelerfolg verbucht - denkt
er. Natürlich ist es ihm "schleierhaft, wie man
in aller Herrgottsfrühe seinem Körper derartige
Qualen zufügen konnte". Doch damit
ist das Thema beileibe nicht abgehandelt. Eine halbe Seite
lang erläutert
der Autor Ploteks Abneigung gegenüber jeder Art von
körperlicher Ertüchtigung,
Und der Leser gähnt. Denn wohlfeile Meinungen dieser
Güteklasse gehören
mittlerweile zum Standardrepertoire der Krimi-Komiker.
Grob geschätzt ließe sich "Kuhdoo" ohne substanziellen Verlust auf die Hälfte
des jetzigen Umfangs von über 400 Seiten reduzieren. Dabei
könnten auch gleich die auffälligsten stilistischen Anleihen
bei Wolf Haas getilgt werden. ("Klüpfel/Kobr" kennt der Rezensent
nur vom Hörensagen.) Heraus käme
ein ebenso schlanker wie vergnüglicher Krimispaß. Aber
wahrscheinlich lieben die Swobodnik-Fans ihren Plotek so,
wie er ist: übergewichtig und geschwätzig. Für alle anderen
lohnt es sich, in Antiquariaten nach alter Dover-Bänden
Ausschau zu halten. |
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: Schweinetango.
Roman. Springe: Zu Klampen 2008. 224 Seiten. € 12,80.
Auch wenn die Behauptung von Autor und Verlag,
es handle sich bei Heinrich Thies' Buch Schweinetango um
einen Kriminalroman, nur bedingt zutrifft, möchte man
als Rezensent ungern mehr als nötig über die Handlung
verraten. Die Geschichte des 48-jährigen Schweinemästers
Cord Kröger, der gemeinsam mit seiner Mutter einen durchaus nicht unprofitablen Hof bewirtschaftet,
hat es nämlich in sich. Was zunächst nach einer
grob gezeichneten Satire auf das Landleben aussieht, nimmt
rasch eine Wendung ins Dramatische, um dann zielgenau einen
existentiellen Tiefpunkt in Krögers Biographie anzusteuern.
Der ehedem stolze Bauer verdingt sich auf dem Rummel, und
zwar als Knochenmann in der Geisterbahn. Dahin gebracht hat
ihn, wie es sich gehört, die Liebe zu einer Frau. Diese ist auch für das kriminalistische
Element in dieser bemerkenswerten Erzählung vom Leben
und Sterben in der niedersächsischen Provinz verantwortlich.
Die zweite Hauptfigur ist ein noch ärmerer Wicht als der Schweinemäster.
Der siebzehnjährige Björn Bergmann ist vor seinem prügelnden Alkoholikervater
auf Krögers Hof geflohen, wo er gegen Kost und Logis Hilfsarbeiten verrichtet.
Nur wenn er sich in der Uniform des freiwilligen Feuerwehrmannes beim Einsatz
beweisen kann, lebt der schüchterne Junge auf. Und seltsamerweise brennt
es recht häufig in der Gegend. Ein "Feuerteufel" geht um, sagen die Dorfbewohner.
Und dann geht auch auf Krögers Hof eine Scheune in Flammen auf ...
All das erinnert von Ferne an Ludwig Homanns großen Provinzroman Ada Pizonka,
besitzt aber nicht dessen finstere Radikalität. Heinrich Thies konnte sich
offenbar nicht dazu durchringen, seine Geschichte in der naheliegenden
Katastrophe enden zu lassen. Stattdessen schließt der Roman auf einer versöhnlichen
Note. Die zeitweilig aus den Fugen geratene ländliche Welt scheint, zumindest
für den Augenblick, wieder halbwegs in Ordnung zu sein.
Überzeugend ist dieses Ende nicht. Und das spricht, so merkwürdig es klingen
mag, durchaus für die Qualität dieses Romans. |
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: Eis-Engel
(Lumienkelit, 2009). Thriller. Deutsch von Thomas Merk.
Reinbek: rororo 2010. 315 Seiten. € 9,95.
Serienmord ist in Skandinavien ein ausgesprochen selten
auftretendes Phänomen. In Finnland ist diese im internationalen
Thriller so beliebte Spielart des Verbrechens praktisch unbekannt.
Doch daraus zu schließen, man hätte es mit einer friedfertigen
Gemeinschaft zu tun, wäre ausgesprochen voreilig. Die Mordrate
des mückenreichen Landes im hohen Norden ist ungefähr so
hoch wie die einer durchschnittlichen amerikanischen Großstadt.
Allerdings finden die Gewaltverbrechen, nicht selten im Zustand
der Volltrunkenheit, vor allem im Familienkreis oder unter
guten Bekannten statt. Dass Finnland zudem fast in jedem
Jahr die weltweite Suizidstatistik anführt, komplettiert
das düstere Bild einer Gesellschaft, die für Ausländer ebenso
schwer zu begreifen sein dürfte wie die Grammatik der Landessprache.
Diesen Eindruck hinterlässt zumindest die Lektüre
von Eis-Engel,
einem düsteren Thriller des amerikanischen Schriftstellers
James Thompson, der seit vielen Jahren gemeinsam mit seiner
finnischen Ehefrau in deren Heimatland lebt.
In einem Skiort nahe des Polarkreises wird die grausam zugerichtete
Leiche einer Somalierin gefunden. Es handelt sich um die
Tochter von politischen Flüchtlingen, die eine bescheidene
Karriere als Schauspielerin gemacht hat. Ihren aufwändigen
Lebensstil konnte sie offenbar nur finanzieren, indem sie
lukrative Männerbekanntschaften
pflegte. Also weiß Kari Vaara von der örtlichen
Polizei auch schnell, wo er suchen muss. Rasch hat der kluge
Kriminalist einen Verdächtigen zur Hand, bei dem es
sich aber dummerweise um den Lebensgefährten seiner
Ex-Frau handelt. Vor dreizehn Jahren hat sie ihn wegen dieses
Mannes verlassen. Selbst wenn er es wollte, könnte sich
Vaara nun nicht wegen Befangenheit aus den Ermittlungen zurückziehen.
Da Weihnachten vor der Tür steht, ist die kleine Polizeistation
nur halb besetzt. Die Konfrontation mit dem ausgesprochen
widerwärtigen Verdächtigen
verläuft entsprechend unerfreulich. Doch nur kurze
Zeit später taucht ein weiterer möglicher Täter,
ebenfalls nicht unbedingt ein Sympathieträger, auf.
Und an der Leiche findet man sogar DNA-Spuren eines dritten
Mannes. Außerdem zeigen
sich Parallelen zu dem berüchtigten Fall der "Schwarzen
Dahlie", ein Aufsehen erregendes Verbrechen aus den
vierziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts, der sich durch
den gleichnamigen Roman James Ellroys in die Kriminalliteratur
eingeschrieben hat. Es scheint, als ob der Täter den
nie aufgeklärten Mord an Elizabeth Short nachstellen
wollte.
Kari Vaara, der eigentlich mit seiner amerikanischen Frau Kate,
die Zwillinge erwartet, ein angenehmes Leben führen könnte,
verstrickt sich immer tiefer in den Fall. Die Stimmung
in dem kleinen Ort ist hoch gespannt, kein Wunder, denn
die dauernde Dunkelheit des Polarwinters geht den Menschen
an die Nerven. Es kommt zu weiteren Gewalttaten, die eine
rasche Aufklärung des Verbrechens unwahrscheinlich werden
lassen, während der verzweifelt agierende Ermittler nicht
nur unter dem Druck des Polizeichefs im fernen Helsinki
steht, sondern auch vom Vater der Ermordeten, einem strengen
Muslim, in unangenehmen Telefonaten regelmäßig an seine
Aufgabe erinnert wird. Fast bis zum Ende des Romans befindet
er sich auf mehr oder weniger falschen Fährten, bis dann
die tatsächliche Auflösung ihn ebenso schockiert wie den
Leser.
Eis-Engel ist ein beinahe bösartig zu nennender Kriminalroman, der die menschliche
Existenz in einem, und das könnte man angesichts der geografischen
Lage des Handlungsortes fast wörtlich nehmen, denkbar schlechten
Licht zeigt. Dass Vaaras amerikanische Gattin manchmal einfach
weg will aus dieser finsteren Gegend, ist gut zu verstehen.
Denn auch die Weihnachtsidylle, mit der James Thompson das
Buch enden lässt, wirkt eher bedrohlich als überzeugend,
wenn Vaara in demselben erschreckend sachlichen Ton, in dem
er seine Mordgeschichte erzählt hat, konstatiert: "Aber es
gibt andere Dinge. Ich blicke mich um und sehe alles, wofür
ich dankbar sein muss. Ich bin von meiner Familie umgeben.
Meine Frau liebt mich und hält mich in den Armen. Unsere
Kinder wachsen in ihr heran."
James Thompson hat in Finnland bereits mit Erfolg drei Kriminalromane
veröffentlicht. Mit Eis-Engel scheint eine internationale
Karriere vorgezeichnet. Inzwischen ist das Buch auch in den
USA erschienen, und die deutsche Ausgabe, von der man gerne
wüsste, aus welcher Sprache sie übersetzt ist, hat der Verlag
mit einem aufdringlichen gelben "Bestseller"-Aufkleber verunziert.
Der zweite Fall für Inspektor Kari Vaara soll im nächsten
Jahr erscheinen. Man darf gespannt sein. |
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: Pforte
des Todes. Kriminalroman.
Bielefeld: Pendragon 2009. 416 Seiten. € 12,90.
Hauptkommissar Reineking von der Kripo im
ostwestfälischen
Minden ist ein armer Hund. Seit seine Frau sich vor einigen
Jahren auf ebenso bizarre wie symbolträchtige Weise
das Leben genommen hat, ist er mit seiner Tochter Magdalena
allein. Die hat sich allerdings inzwischen einer undurchsichtigen
freikirchlichen Vereinigung angeschlossen, so dass er sie
kaum mehr zu Gesicht bekommt. Wüsste er, mit wem sie
sich eingelassen hat, wäre seine Sorge noch größer.
Und nun sitzt ihm auch noch der hochgradig unsympathische
Staatsanwalt von Vennebeck im Nacken, mit dem ihn eine tiefsitzende
Feindschaft verbindet, hatte dieser doch vergeblich versucht,
Reineking die Schuld am Tod seiner Frau nachzuweisen.
Es geht um einen seltsamen Leichenfund unterhalb des Kaiser-Wilhelm-Denkmals
an der Porta Westfalica. Jemand ist offensichtlich verbrannt, doch keinerlei
Spuren lassen auf eine Ursache schließen. Reineking und sein Kollege Wehner
sind zunächst ratlos, doch dann findet sich bei der kriminaltechnischen
Untersuchung der Brandasche ein rätselhaftes antikes Medaillon.
Das soll als erste Exkursion in die nicht unkomplizierte
Handlung des Romans Pforte des Todes, mit dem sich
Krimi-Altmeister Willi Voss nach mehreren Jahren Publikationspause
zurückmeldet,
genügen. Freunde des Okkulten werden an dem Buch ihre
helle Freude haben, denn das mysteriöse Fundstück
weist den Weg zurück in uralte Zeiten. Die mittelalterlichen
Tempelritter, so erklärt Dr. Fischer-Balte, ein hochbetagter
Experte für
seltsame Altertümer, dem die Polizisten das Medaillon
präsentieren,
seien bei ihren Ausgrabungen im Heiligen Land auf Aufzeichnungen
gestoßen, die ein geheimes Wissen dokumentierten, das
geeignet sei, "die Rätsel des Todes nicht nur zu
lösen, sondern ihn
in gewisser Weise zu überwinden". Da wundert es
wenig, dass sich immer wieder Zeitgenossen finden, die mit
Begeisterung auf den Spuren der alten Ägypter, denen
sich die entsprechenden Techniken offenbar verdanken, wandeln.
Argwöhnisch beäugt
natürlich von den Vertretern der offiziellen Glaubensgemeinschaften,
allen voran der Vatikan und dessen Geheimdienst. Und alle
wollen sie des sagenhaften Medaillons, das den Schlüssel
zum großen Geheimnis birgt, habhaft werden. Dass dabei
auch
über Leichen gegangen wird, versteht sich angesichts
des Genres von selbst.
Damit hätten wir auch schon fast das Personal dieses
durchaus spannenden und routiniert erzählten Kriminalromans
beisammen, dessen Lektüre Ihrem, dem Esoterischen eher
abgeneigten, Rezensenten nicht langweilig geworden ist. Souverän
hält
Voss die Fäden der parallel verlaufenden Handlungsstränge
im Griff, sorgt nebenbei dafür, dass der traurige Held
Reineking wenigstens in erotischer Hinsicht auf seine Kosten
kommt, und präsentiert zum Schluss einen fulminanten
Showdown. Hoffen wir für Autor und Verlag, dass sich
der Griff in die Mythenkiste ebenfalls bezahlt macht. |
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: Das
Alphabet der Knochen (Naming the
Bones, 2010). Roman. Aus dem Englischen von Wolfgang
Müller.
München: Kunstmann 2010. 430 Seiten. € 22,-.
Dr. Murray Watson, Literaturwissenschaftler
an der Universität
Glasgow, hat es nicht leicht. Sein Künstlerbruder Jack
provoziert ihn mit Videoarbeiten, die sich dem demenzerkrankten
Vater der beiden widmen. Die Affäre mit seiner Kollegin
Rachel könnte, würde sie öffentlich, unangenehme
Folgen für seine
Karriere haben, schließlich ist die Dame mit dem Chef
des Fachbereichs verheiratet. Und mit der Forschung geht
es auch nicht so recht voran. Ausgerechnet dem früh
verstorbenen Dichter Archie Lunan, dessen überschaubarer
Nachlass wenig aufschlussreich ist, will Watson eine Biografie
widmen. Als Sechzehnjähriger war ihm in einem Antiquariat
eine Ausgabe von Lunans einzigem Lyrikband Moontide in
die Hände gefallen.
Fasziniert von dessen Cover hatte er das Büchlein für
50 Pence erworben, war aber erst zwei Jahre später,
als er das erste Studienjahr bereits hinter sich hatte, dazu
gekommen, es zu lesen. Und das nicht nur einmal. Denn von
der Gedichtsammlung
"ging ein Zauber aus, der Dr. Murray Watson wie ein
stiller Schatten durch die Plackerei der akademischen Welt" begleiten
sollte.
Das behauptet zumindest die englische Autorin Louise Welsh,
deren neuer Roman Das Alphabet der Knochen von den
existentiellen Abgründen erzählt,
in die literaturwissenschaftliche Forschung manchmal führen
kann. Je mehr sich Watson nämlich mit den kryptischen
Notizen beschäftigt, die Lunan
hinterlassen hat, desto rätselhafter erscheint ihm das
kurze Leben des dichtenden Bohemiens. Auch das Urteil des
einzigen Zeitzeugen, den er zunächst
auftreiben kann, klingt eher entmutigend: "Der Kerl
war ein Nichts. Kein richtiger Dichter und auch kein richtiger
Mann." Doch Watson ist wild entschlossen
zu beweisen, dass es sich bei Archie Lunan eben nicht nur
um einen drogenvernebelten Hippie gehandelt hat, dessen Nachruhm
mehr seinem frühen Tod bei einem
Segelunfall als seinem literarischen Talent geschuldet ist.
Bis auf die vor der Westküste Schottlands gelegene Insel Lismore, von der
Lunans Mutter stammte und wo der Dichter die letzten Monate seines Lebens
in einer Kommune verbrachte, führen die Nachforschungen, um in einem, wie
es sich für einen mit Elementen der Schauerromantik spielenden Roman gehört,
dramatischen Finale zu gipfeln. Und man stellt befriedigt fest, dass sich
jene Figur aus Watsons Umgebung, die schon früh ausgesprochen verdächtig
wirkte, tatsächlich als ein Ausbund an diabolischer Energie entpuppt.
Louise Welsh ist mit Das Alphabet der Knochen eines
jener reizvollen Bücher gelungen, die eine anständige
Dosis Sex und Crime literarisch so geschickt verpacken, dass
einer kulturell ambitionierten Leserschaft kaum auffällt,
wie an ihre niederen Instinkte appelliert wird. Und das ist
doch
überaus erfreulich. |
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: Trimmels
letzter Fall. Roman. Mit
einem Nachwort von Frank Göhre. Bielefeld: Pendragon
2009. 232 Seiten. € 9,90.
Die berühmten schmalen Taschenbücher
aus der rororo-Thriller-Reihe hatten, unabhängig vom
jeweiligen Inhalt, zwei unverkennbare Merkmale. Da war zum
einen die notorisch witzige Anzeige für Pfandbriefe
und Kommunalobligationen, die sich gewöhnlich
weiter hinten im Buch fand, und zum anderen das dem eigentlichen
Roman vorangestellte Verzeichnis der "Hauptpersonen",
wie es in der Überschrift hieß. Da fanden sich
in der Regel um die zehn, mit betont kryptischen Begleittexten
versehene Namen. "Göta Isaksson erinnert sich
an etwas und sagt es",
heißt es beispielsweise im ersten der Martin-Beck-Krimis
des Autorenpaars Sjöwall/Wahlöö, Die
Tote im Götakanal.
Wer Trimmels letzter Fall von Friedhelm Werremeier
liest, wünscht sich,
dass der Pendragon Verlag diese Sitte weiterpflegen würde.
Allein um die 20 Figuren tauchen nämlich allein auf
der Seite der Gesetzeshüter auf,
die Namen wie Blaukopf, Golz oder Speer tragen. Und mitten
unter ihnen agiert der inzwischen pensionierte Hauptkommissar
Paul Theodor Trimmel, der vor über 40 Jahren in Werremeiers,
damals unter dem Pseudonym Jacob Wittenbourg veröffentlichten,
Krimidebüt Ich verkaufe mich exklusiv seinen
ersten Auftritt hatte. Der Roman erschien übrigens,
wie auch die meisten seiner Nachfolger, als rororo-Thriller.
Einem Massenpublikum bekannt wird Trimmel allerdings als erster "Tatort"-Ermittler.
Insgesamt werden zwischen 1969 und 1982 elf seiner Fälle für die Reihe
verfilmt. Als "Unglück" schätzt ein Kritiker, der Werremeier als Konstrukteur
kühner Plots lobt, diese enge Zusammenarbeit ein. Vielleicht zu Recht,
lässt sie doch die literarische Leistung eines der großen Modernisierer
des Genres in Deutschland hinter der populären TV-Version verschwinden.
Denn Friedhelm Werremeier ist nicht nur ein Meister lakonischen Erzählens,
er hatte auch als gelernter Reporter ein untrügliches Gespür für aktuelle
Themen.
Und nun ermittelt er wieder, der "'Tatort'-Kommissar
der ersten Stunde",
wie es erwartungsgemäß auf dem Cover des hübschen
Taschenbuchs heißt. Und
dies in zunächst rasanter Geschwindigkeit. Gleich im
ersten Kapitel nämlich
wird Trimmels Lebensgefährtin Gaby während eines
gemeinsamen Kuraufenthalts in Bad Salzuflen ermordet, und
nur wenige Seiten später hat der alte Kommissar
den Täter ermittelt. "Ein abgerundetes Meisterstück",
urteilt der Erzähler,
und wie gerne würde man dieses Qualitätssiegel
auch dem ganzen Roman verleihen, doch leider stürzt Trimmels
letzter Fall seine Leser eher
in Verwirrung, als dass er Lektürevergnügen bereiten
würde. Dazu trägt
nicht allein das nur schwer überschaubare Figurenensemble
bei, auch der Plot scheint mir mit dem Attribut "komplex" noch
nicht hinreichend beschrieben.
Nach dem Salzufler Fall nämlich geht der "ehemalige Mordbereitschaftsleiter"
zwar in den vorzeitigen Ruhestand, doch als "ein für lange
Zeit namenloser Zombie das Entsetzen über die Stadt" bringt,
wird sein kriminalistischer Sachverstand ein letztes Mal
gefordert.
Der Hund eines Spaziergängers stößt am Ufer
eines Tümpels
auf eine menschliche Hand, die zweifelsfrei einem verschwundenen
kleinen Mädchen zuzuordnen ist. LKA-Leiterin Annette
Rechberg wähnt einen Serienmörder am Werke. Später
findet Trimmel im Keller seines Hauses den Kopf der Leiche.
Offenbar hat der Täter eine persönliche Beziehung
zu dem pensionierten Kriminalisten. Die Spur führt zurück
zum Fall des Zuhälters
Connie Schiefelbeck, dem Trimmel nicht nachweisen konnte,
dass er seine Geliebte Angy Brock vorsätzlich ermordet
hatte. Doch Schiefelbeck ist tot ... Dafür lebt Lori
Wismar, eine vierfache Prostituiertenmörderin. Und sie
ist auf freiem Fuß.
Wie alle diese Dinge zusammenhängen, wird irgendwann
im Laufe des Romans in gekonnt lakonischen Halbsätzen
geklärt,
doch man gewinnt nicht den Eindruck, als ob dem Autor an
solcher Aufklärung wirklich viel läge. Interessierter
scheint er an Trimmels Biographie zu sein, deren Abgründe
nun endlich ausgeleuchtet werden. Außerdem versorgt
uns Werremeier mit einer die Literarizität des kriminellen
Geschehens betonenden Rahmenhandlung.
Um es kurz zu machen: Trimmel letzter Fall ist der
Abgesang auf einen großen Ermittler, ein Satyrspiel,
das 25 Jahre, nachdem der letzte der 14 Bände dieses
bundesrepublikanischen Sittenbildes erschien, einen Schlusspunkt
setzt. Interessierte Leser sind nicht schlecht beraten, wenn
sie vor der Lektüre
den einen oder anderen der alten Fälle studieren, zum
Beispiel
Trimmel hält ein Plädoyer von 1976.
Im Buchhandel allerdings wird man die Titel vergeblich suchen,
sie sind sämtlich vergriffen.
Aber noch wird man bei den einschlägigen Internet-Antiquariaten
für wenig Geld fündig. |
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: Prinzessin
Rauschkind. Ein Marek-Miert-Krimi.
Innsbruck/Wien: Haymon 2010. 204 Seiten. € 19,90.
Wer heute als fiktiver Ermittler, sei es im Staatsdienst
oder als Privatunternehmer, reüssieren will, braucht unbedingt
einen möglichst skurrilen Computerexperten in seinem Umfeld.
Was mir erst neulich bei der Lektüre von Jo
Nesbøs Roman Leopard auffiel, bestätigte sich nun wieder, als ich
Manfred Wieningers schwergewichtigen "Diskont-Detektiv" Marek
Miert bei der Suche nach dem verschwundenen Liebhaber einer
jungen Dame begleiten durfte. Mausl lautet der Spitzname
eines ehemaligen Klassenkameraden, der sich schon während
der Schulzeit als ausgemachter "Nerd" profiliert hatte und
nun zwischen "Schaltkästen, Festplatten, Messkonsolen" und
anderen elektronischen Geräten ein Einsiedlerdasein fristet.
Miert braucht Mausls Hilfe bei der Rekonstruktion von Dateien,
die sich auf dem Laptop des vermissten Galans befinden. Selbstredend
wird der Digital-Eremit fündig und spielt dem Detektiv damit
Informationen in die Hand, die für eine rasche Auflösung
des Falles sorgen.
Allerdings begegnen wir Mausl erst auf Seite 117 dieses knapp
200 Seiten umfassenden Kriminalromans, so dass sich die berechtigte
Frage stellt, womit Miert bis dahin seine Zeit verbracht
hat. Nun, der preiswerte Ermittler aus dem niederösterreichischen
Harland war angesichts der Aussicht auf ein allzu spärliches
Honorar zunächst gar nicht gewillt, der "anämischen
Blondine", die unter anderem als Sprechstundenhilfe
bei seinem Zahnarzt jobbt, seine professionelle Hilfe angedeihen
zu lassen. Doch als er durch Zufall über eine Leiche
stolpert, die dem Gesuchten verblüffend ähnlich
sieht, und zudem noch als Verdächtiger eine äußerst
unangenehme Nacht im Polizeigewahrsam verbringen muss, ist
sein Jagdinstinkt geweckt. Und er befindet sich schon bald
auf einer Spur, die sich, nicht zuletzt aufgrund der bereits
erwähnten Laptop-Untersuchung, als heiße erweist.
Nun handelt es sich bei Prinzessin Rauschkind, dem
sechsten Marek-Miert-Krimi des St. Pölteners
Schriftstellers, nicht um einen Roman, der von seinem Plot
lebt. Dessen Zweck besteht vor allem darin, dem Detektiv,
der seine überwiegend
trostlose Lage mit bissiger Selbstironie zu schildern versteht,
Anlässe für kleine Erzählungen und allgemeine
Reflexionen aus dem beschädigten Leben zu bieten. Wir
lesen von tragisch endenden Trinkwettbewerben, nehmen Anteil
an kriegsähnlichen
Auseinandersetzungen zwischen Taxiunternehmen und staunen
über vermeintliche Spontanheilungen im Wallfahrtsort
Lourdes. Und das ist, da unser Held von der Wortgewalt des
Formulierungsartisten Manfred Wieninger profitiert, ein nicht
unbeträchtliches
Vergnügen, so dass man gerne den einen oder anderen
losen Handlungsfaden ignoriert. Wie sagt noch der alte Kommerzialrat
Sabitzer, eine der zahlreichen Nebenfiguren dieses Romans,
nachdem Miert ihm eine bemerkenswert pointenarme Begebenheit
aus seinem Detektivleben erzählt hat: "Für
mich war es eine gute Geschichte." |
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: Es
muss nicht immer Grappa sein.
Kriminalroman. 219 Seiten. Dortmund: Grafit 2008. € 8,95.
Aus der deutschen Krimilandschaft sei sie nicht wegzudenken,
die spitzzüngige Reporterin Maria Grappa, behauptet keck
der Werbetext des Dortmunder Grafit Verlags, in dem seit
1993 anderthalb Dutzend Abenteuer der Amateurdetektivin erschienen
sind. Mir ist das bislang problemlos gelungen. Die ersten
siebzehn Romane konnte ich schon deshalb getrost ignorieren,
da mein Bedarf an Ruhrpott-Krimis durch eine andere, im selben
Verlag beheimatete Serie vollauf gedeckt schien. Außerdem
war mir eine Heldin, die nach einer Schnapssorte benannt
ist, schlicht zu albern.
Als mir aber nun Band Nummer 18 mit dem, zugegeben gar nicht
so blöden, Titel Es
muss nicht immer Grappa sein ins Haus geschickt wurde,
war ich doch ein wenig neugierig, probierte die ersten Zeilen
aus und war zunächst positiv überrascht. "Nicht
alles, was sich hinten reimt, ist ein Gedicht", hieß es
da. "Und nicht jede Frau
über siebzig eine harmlose Oma. Ekaterina Schöderlapp
ging viele Jahre lang als Oma durch. Das war ihre Stärke."
Die Stärke der Fernsehredakteurin Gabriella Wollenhaupt,
der wir außer den Grappa-Romanen noch ein paar historische
Krimis verdanken, ist das Formulieren ebenso lakonischer
wie prägnanter Sätze. Ihre Schwäche ist eine verhängnisvolle
Neigung zum Klamauk, die sich hier in der Wahl des Nachnamens
des Mordopfers - Frau Schöderlapp trägt eine Plastiktüte
über dem Kopf und ist mausetot - offenbart. Was in den Romanen
Thomas Manns einen skurrilen Effekt haben mag, bekommt einem
Krimi, auch wenn er nicht in die ernste Abteilung des Genres
gehört, gewöhnlich weniger gut. Und das ist in diesem Fall
besonders tragisch, denn die grob humorigen Elemente des
Romans kollidieren auf unschöne Weise mit einer angenehm
knappen Erzählweise, deren Komik subtilerer Natur ist. Warum
muss Dortmund "Bierstadt" heißen? Was verspricht sich die
Autorin von einer an miserable deutsche TV-Comedy erinnernden
Nebenhandlung um den transsexuellen Ehemann einer Kollegin
Grappas? Und wen möchte sie mit der langatmigen Parodie einer
Fernsehsoap amüsieren?
Mir scheint es, als ob Wollenhaupt, trotz aller Routine,
ihrem eigenen Erzähltalent nicht so richtig traut und deshalb
meint, eine solide Krimihandlung um Kaviarschmuggel und andere
gesetzwidrige Aktivitäten mit allerlei Quatsch aufpeppen
zu müssen. Wahrscheinlich aber verhält es sich leider so,
dass ihre zahlreichen Leserinnen und Leser genau diese Art
von Humorprodukt von ihr erwarten. |
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: Der
Fremde aus dem Wald. Bruno Schmidts letzter Fall.
Merzich: Gollenstein 2009. 220 Seiten. € 14,90.
Mit Schmidts zweitem Fall, Geliebter
Räuber (2004), wechselte
Wolter zum saarländischen Gollenstein-Verlag, wo auch
die weiteren Folgen der Reihe herauskamen. Und es stimmt
uns traurig zu vernehmen, dass nun mit Der Fremde aus
dem Wald
offenbar Schluss sein soll. Wir haben den raubeinigen Ermittler
nämlich ins Herz geschlossen und würden ihm gerne
auch weiterhin bei der Arbeit zusehen. Zu verdanken hat Schmidt
diese Anhänglichkeit
dem Erzähltalent seines Schöpfers. Walter Wolter
schreibt eine Prosa, die in ihrer Mischung aus Witz und Lakonie
in der deutschsprachigen Kriminalliteratur ihresgleichen
sucht. Da sitzt jedes Wort am richtigen Platz, und es fehlt
auch nicht jenes Quäntchen Sentimentalität, ohne
das seit Chandler kein hartgesottener Detektivroman auskommt.
Der Fremde aus dem Wald zeigt Bruno Schmidt zunächst
von seiner schwachen Seite. Gerade fünfzig geworden,
muss er damit fertig werden, dass seine langjährige
Freundin einen jüngeren Liebhaber gefunden hat. Schmidt
leidet. Allerdings nur im Geheimen. Ein harter Bursche wie
er kennt schließlich
keinen Trennungsschmerz. Da kommt ihm ein scheinbar lukrativer
Auftrag gerade recht. Einem schwerreichen Autohändler
ist der neue Freund des geliebten Töchterleins ein gewaltiger
Dorn im Auge. Schmidt soll den unliebsamen Schwiegersohn
in spe notfalls mit Gewalt davon überzeugen, dass er
besser das Weite sucht. Dies gestaltet sich allerdings ein
wenig schwierig, handelt es sich doch um einen exzellent
trainierten Kampfsportler, dem mit der Routine des Ex-Boxers
nicht so ohne Weiteres beizukommen ist. Zudem scheint der
junge Mann zu einer nicht ungefährlichen Bande von Schutzgelderpressern
zu gehören, die den Geschäftsleuten der Region
das Leben schwermacht. Aber damit nicht genug. Schmidt hat
noch ein anderes Verbrechen aufzuklären, allerdings
ohne dass ihm jemand einen Auftrag erteilt hätte. Der Fremde
aus dem Wald, auf den der Titel des Buches verweist,
ist ein offenbar zu Tode geprügelter Schwarzer. Und
obwohl ihn niemand zu identifizieren weiß, wird anonym
eine hohe Belohnung für die Aufklärung der Tat
ausgesetzt.
Wie es sich für das Genre gehört, fordern die Ermittlungen
Schmidts Verstand ebenso heraus wie seine Fäuste. Der
alte Kämpfer erhält reichlich
Gelegenheit zu zeigen, was in ihm steckt. Doch der Fall wird
so noch nicht gelöst. Vieles ist anders, als es zunächst
scheint, und Schmidt muss sich auf manche Überraschung
gefasst machen. Irgendwann landet er sogar für kurze
Zeit im Knast, eine Episode, die seinen lädierten Seelenzustand
wunderbar illustriert.
Ein Kriminalroman also, der seine Leser, anders als den Helden,
wunschlos glücklich machen könnte, wäre da
nicht der Plot. Für meinen Geschmack ist es ein bisschen
viel, was uns Walter Wolter hier auftischt. Während
er die Geschichte um die Schutzgelderpresser relativ abrupt
ihrem Ende zuführt, spinnt er um die Leiche
im Wald ein ganzes Knäuel von Handlungsfäden, um
diese kurz vor Schluss in Windeseile wieder zu entwirren.
Aber diesem kleinen Makel zum Trotz: Der Abschied von Bruno
Schmidt fällt
uns schwer, und wir schließen das Buch in der Hoffnung,
dass es doch noch nicht sein letzter Fall gewesen sein wird. |
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