Am Erker 86

Robert Brack: Schwarzer Oktober

Lotte Kinskofer: Schillerwiese

Max Annas: Berlin, Siegesallee

Lea Stein: Alte Schuld

 
Mord & Totschlag 86
Die Krimi-Kolumne von Joachim Feldmann
 

In der Nacht vom 22. auf den 23. Oktober 1923 greifen ca. 300 Aktivisten der Kommunistischen Partei Polizeireviere in Hamburg und Umgebung an. Erbeutet werden um die 250 Gewehre. Doch dieser Aufstand ist nicht das erhoffte Signal für die proletarische Revolution. Bereits einen Tag später endet die Revolte. Barmbek wird nicht zu der "revolutionären Festung", von der Klara Schindler träumt. Die junge Frau ist dabei, als die Panzerwagen der Polizei anrücken. Doch sie kann entkommen. Später vertraut sie das Geschehen ihrem Tagebuch an und verfällt dabei in ein Stakkato, das mit der avancierten Erzählliteratur der Zeit mithalten kann. Denn Klara Schindler ist nicht nur handelnde Person, sondern auch Chronistin. So hat es Robert Brack entschieden, der sich in seinem aktuellen Buch Schwarzer Oktober nach mehr als einem Jahrzehnt wieder seiner Protagonistin aus drei historischen Kriminalromanen widmet. Denn Klara kämpft, liebt und schreibt. Und all das mit Leidenschaft. Dabei geht es nicht nur gegen das soziale Elend der Inflationszeit und die repressive Doppelmoral der bürgerlichen Gesellschaft. Auch in der KPD hält man wenig von befreiter Sexualität, vor allem, wenn sich das Begehren dem eigenen Geschlecht zuwendet.
Zum Kriminalroman wird dieses packende Zeitbild auf subtile Weise. Immer wieder ist vom "Schnitter" die Rede, einem Sexualverbrecher, der seine vorwiegend weiblichen Opfer in Hamburgs anrüchigsten Vierteln findet. Aber Klara Schindler ist keine Amateurermittlerin. Als sie erkennt, dass sich der Messermörder in unmittelbarer Nähe befindet, ist es zu spät.
Schwarzer Oktober rekonstruiert ein wenig bekanntes Kapitel deutscher Sozialgeschichte. Historische Fakten und Fiktion werden dabei gekonnt in Szene gesetzt, nicht zuletzt, indem der Autor seiner Erzählerin eine überzeugende Stimme verleiht.

Derweil kommen im fernen Bayern die Umsturzpläne aus entgegengesetzter Richtung. Zwar ist der so genannte Hitler-Putsch im November 1923 gescheitert, doch sein Namensgeber ist nach nur neun Monaten verbüßter Festungshaft wieder auf freiem Fuß. Und seine Partei hat sich nach kurzfristigem Verbot einfach neu gegründet. Vor diesem Hintergrund spielt Schillerwiese, ein kleiner, konzentriert erzählter Kriminalroman der Münchner Autorin Lotte Kinskofer.
Im Mai 1925 wird auf der Regensburger Schillerwiese die Leiche einer jungen Frau gefunden. Dass es sich, dem Anschein zum Trotz, nicht um Selbstmord handelt, ist von Beginn des Romans an klar. Die ledige Küchenhilfe Veronika Haberl hatte keinen Grund, sich das Leben zu nehmen, im Gegenteil. Ein Verehrer hatte sich eingestellt, mit dem eine glücklichere Zukunft für sie und ihren Sohn möglich schien. Was der Tod der jungen Frau mit rechtsradikalen Umtrieben auf einem nahegelegenen Gut zu tun hat und warum der Münchner Oberkommissär Benedikt Wurzer sich der Sache annimmt, schildert Lotte Kinskofer in einem regional gefärbten Duktus, der auf überzeugende Weise an die Kalendergeschichten eines Oskar Maria Graf erinnert. Man liest diesen gut konzipierten Kriminalroman mit großer Anteilnahme und in dem Bewusstsein, dass sein glückliches Ende nur ein vorläufiges ist.

Weiter zurück, bis in die letzten Jahre des Kaiserreichs, führt Berlin, Siegesallee. Max Annas, der sich wiederholt mit zeitgeschichtlichen Stoffen beschäftigt hat, dekonstruiert in seinem neuen Roman traditionelle Genrestrukturen, um darzustellen, wo die größeren Verbrechen geschehen, nämlich in Deutschlands afrikanischen Kolonien. Schon deshalb bleiben die Morde, begangen von drei in Berlin lebenden Afrikanern und einer rebellischen Fabrikantentochter, unaufgeklärt. Es gibt zwar Ermittlungen, doch die führen zielsicher in die falsche Richtung. Im Sinne der Täter ist das allerdings nicht, denn die wollen Zeichen setzen. Ihre Opfer sind Offiziere, die Dienst in Afrika getan haben. Aber den Zusammenhang erkennt niemand, die Propaganda der Tat bleibt wirkungslos. Also planen sie Größeres: ein Attentat auf den Kaiser. Wie dieses scheitert, ist eine der bitter-ironischen Pointen dieses Romans, der mit einem wahren Knalleffekt endet.
Max Annas' Erzählton ist sachlich, die Position auktorial. Auf wertende Kommentare wird verzichtet. Diese sind auch nicht notwendig, da das Geschilderte für sich spricht. Und das macht Berlin, Siegesallee zu einem historischen Roman von bezwingender Aktualität.

Auf bewährte Erzählmuster populärer Literatur vom Detektiv- bis zum Schauerroman setzt die unter dem Pseudonym Lea Stein schreibende Journalistin Kerstin Sgonina im zweiten Band ihrer Reihe um die Hamburger Schutzpolizistin Ida Rabe. Und das ist überhaupt nicht verwerflich, die entsprechenden handwerklichen Fähigkeiten vorausgesetzt. Dann können die alten Tricks und Kniffe verblüffend effektiv sein.
Also wird Ida Rabe, die sich bereits in ihrem ersten Fall als kriminalistisches Naturtalent erwiesen hat, nicht nur erneut mit einem rätselhaften Mordfall konfrontiert, sondern muss sich auch mancher Anfeindung aus den eigenen Reihen erwehren. Und das alles vor dem Hintergrund der bevorstehenden Währungsreform im Juni 1948. Die neuen, in den USA gedruckten Banknoten sollen unters Volk gebracht werden, was den geheimen Transport einer ungeheuren Menge Bargeld erfordert. Schließlich gibt es im Nachkriegsdeutschland nicht wenige Zeitgenossen, die sich von der Aussicht auf plötzlichen Reichtum herausgefordert fühlen dürften. Zu denen zählt auch Idas alte Bekannte Marlise, eine mysteriöse Unterweltfigur, die ihr Imperium von einem verfallenen Bunker aus regiert.
Eine hinreichend komplexe Situation also, die von der jungen Kriminalistin allen Widrigkeiten zum Trotz souverän gemeistert wird. Und die reichen immerhin vom notdürftig geflickten Schuhwerk bis zu erheblichen Selbstzweifeln. So möchte man seine Identifikationsfiguren.

 

Robert Brack: Schwarzer Oktober. Kriminalroman. 158 Seiten. Nautilus. Hamburg 2023. € 16,00.

Lotte Kinskofer: Schillerwiese. Kriminalroman. 191 Seiten. Ars Vivendi. Cadolzburg 2024. € 16,00.

Max Annas: Berlin, Siegesallee. Roman. 284 Seiten. Rowohlt. Hamburg 2024. € 22,00.

Lea Stein: Alte Schuld. Kriminalroman. 444 Seiten. Heyne. München 2024. € 16,00.