Von allen fiktiven Ermittlern bedarf der Amateurdetektiv
des Zufalls am nötigsten. Während seine professionellen
Kollegen gewöhnlich in einem Auftrag unterwegs sind, der
sie über Leichen stolpern lässt, kann der Freizeitschnüffler
in der Regel keine Erklärung für den seltsamen Umstand
vorweisen, dass er die Gewaltverbrechen anzieht wie eine faulende
Birne die Fruchtfliegen. Uns Lesern ist das vernünftigerweise
meistens egal. Wer sich an der Aufklärung erfundener Delikte
erfreut, mit denen er im wirklichen Leben keinesfalls konfrontiert
werden möchte, sollte seinen Realitätssinn zeitweise
suspendieren können. Die Düsseldorfer Autorin Sabine
Klewe allerdings strapaziert in ihrem Roman Blutsonne
die Zufallstoleranz zumindest dieses Lesers auf geradezu unschickliche
Weise. Bereits zum vierten Mal befindet sich die Fotografin Karin
Sandmann in der Altbiermetropole auf Mörderjagd. Ein in der
lokalen Kriminalgeschichte bewanderter Psychopath bringt seine
Opfer an historischen Hinrichtungsstätten ums Leben. Schon
bald kommt ihm die "charismatische Amateurdetektivin"
(Verlagsinformation) auf die Spur, gelangt sie doch zufällig
(!) an Informationen, die bereits etliche Seiten vor dem Ende
des Romans zu dessen Verhaftung führen könnten. Da sich
aber die Autorin für das Finale eine Art Showdown erdacht
hat, muss noch ein kleines Verwirrspiel inszeniert werden. Schließlich
gehört in einen Roman dieser Art unbedingt jene Szene, in
der sich die Heldin entscheidet, auf den Anruf bei der Polizei
zu verzichten und "der Sache selbst auf den Grund zu gehen",
um dann schnurstracks dem Mörder in die Arme zu laufen. So
richtig spannend wird die Angelegenheit dadurch leider auch nicht
mehr, zumal das Tatmotiv selbst für einen Psychopathen wenig
überzeugend wirkt.
*
Dass man einen gelungenen Kriminalroman auch
unter Verzicht auf Thrillereffekte schreiben kann, zeigt wieder
einmal der mysteriöse Max Bronski
aus München. Schampanninger, sein dritter Roman um
den bärbeißigen Trödler Wilhelm Gossec, führt
uns vom proletarischen Schlachthofviertel in die besseren Kreise
der "Weltstadt mit Herz". Es ist Advent. Gossec springt
bei einer Wohltätigkeitsveranstaltung für Obdachlose
als Nikolaus ein und findet in dem "goldenen Buch" nicht
nur sein Redemanuskript, sondern auch ein Tütchen mit Kokain.
Ein Schlag auf den Schädel verhindert, dass er der Sache
sofort auf den Grund gehen kann. Doch solcherlei Blessuren können
den kampferprobten Gelegenheitsdetektiv nicht aufhalten, zumal
wenn er sich an dem mit allen Wassern gewaschenen Bernie Berghammer
reiben kann, einem Sternekoch, dessen legendärer Geschäftssinn
nicht immer zwischen legalen und illegalen Unternehmungen zu unterscheiden
weiß. Gewohnt souverän löst Gossec gleich mehrere
Fälle zur Zufriedenheit seiner Leser, denen er allerdings
nicht nur wegen seines kriminalistischen Talents ans Herz gewachsen
sein dürfte. Bronskis München-Krimis sind vor allem
liebevoll-ironische, gelegentliche satirische Übertreibung
nicht scheuende Milieustudien, die vom rauen Charme ihres Helden,
der seine Abenteuer selbst erzählen darf, profitieren.
*
Geografisch wie auch zeitlich weit entfernt
von Miet-Nikoläusen und Schickeriaköchen spielt das
deutschsprachige Debüt zweier in Vietnam geborener und seit
langem in Frankreich lebender Schwestern, die unter dem Namen
Tran-Nhut historische Kriminalromane
verfassen. Bislang liegen sechs Abenteuer des jungen Mandarins
Tân vor, der im 17. Jahrhundert als Richter in einer vietnamesischen
Hafenstadt Verbrechen aufklärt. Bei uns beginnt die Reihe
seltsamerweise mit dem dritten Band, der 2002 im Original erschienen
ist und nun von Michael Kleeberg in ein wunderbar elegantes Deutsch
übertragen wurde. Sein Titel, Das schwarze Pulver von
Meister Hou, bezieht sich auf eine mysteriöse Droge mit
fataler Wirkung, wie ein französischer Jesuit, den es nach
Asien verschlagen hat, berichten könnte. Aber der Roman handelt
auch von anderen Obsessionen, der Gier nach Besitz und dem Willen
zur Macht beispielsweise, die Menschen dazu treiben, furchtbare
Verbrechen zu begehen, wie Mandarin Tân bei seinen Ermittlungen
feststellen muss. Ganz falsch wäre es allerdings, stellte
man sich diesen historischen Kriminalroman nun als einen finsteren
Schmöker vor. Die erfindungsreichen Schwestern Tran-Nhut
besitzen einen manchmal durchaus derben Sinn für Humor und
sparen auch nicht an parodistischen Elementen. Liest man die autobiografische
Skizze im Anhang des Romans, gewinnt man den Eindruck, dass sich
die beiden ebenso von westlicher Popkultur beeinflusst fühlen
wie von den Traditionen ihrer ursprünglichen Heimat. Jedenfalls
ergibt die Mischung ein exquisites Lesevergnügen, und man
kann nur hoffen, dass der Unionsverlag möglichst bald die
anderen Romane der Reihe übersetzen lässt, am besten
von Michael Kleeberg.
*
Selten kommt etwas Gutes dabei heraus, wenn
Autoren sich entscheiden, mittels Literatur politische Aufklärung
zu betreiben. Literarische Texte eignen sich nur sehr bedingt
dazu, Botschaften, und seien sie auch noch so gut gemeint, den
richtigen Adressaten zukommen zu lassen. Aber es gibt auch Ausnahmen,
das vorliegende Buch ist eine davon.
Welche Absicht den Schriftsteller und Rechtsanwalt Wilfried
Eggers umtreibt, verrät schon der Titel seines neuen
Kriminalromans, Paragraf 301. Dieser Passus des türkischen
Strafgesetzbuches stellt, unter anderem, die "Beleidigung
der türkischen Nation" unter Strafe und macht so eine
kritische Auseinandersetzung mit Geschichte und Politik in der
Türkei unmöglich. Auch Eggers' Roman wäre davon
betroffen, liegt ihm doch eines der dunkelsten Kapitel in der
Geschichte der türkischen Republik zugrunde, der Völkermord
an der ethnischen Minderheit der Zaza in den dreißiger Jahren
des vergangenen Jahrhunderts.
Paragraf 301 spielt Mitte der neunziger Jahre in Norddeutschland.
Rechtsanwalt Peter Schlüter hat sich sein Leben behaglich
eingerichtet, deshalb ist er gar nicht begeistert, als ihn ein
Dönerbudenbesitzer darum bittet, seinen Neffen in einem Asylverfahren
zu vertreten. Diesem drohe in der Türkei wegen Beteiligung
an einem Brandanschlag eine langjährige Haftstrafe. Dabei
sei er unschuldig. Zeitgleich wird Schlüter in den Fall eines
illegalen türkischen Arbeiters verwickelt, der auf einer
Baustelle einen Kontrolleur des Arbeitsamtes umgebracht haben
soll. Während der mutmaßliche Mörder zur diskriminierten
religiösen Minderheit der Aleviten gehört, handelt es
sich bei dem asylsuchenden Neffen um einen radikalen türkischen
Nationalisten. Aber dies bleibt nicht der einzige Konflikt, mit
dem sich Schlüter auseinandersetzen muss. Seine Fälle
zwingen ihn dazu, sich mit Aspekten der türkischen Geschichte
zu beschäftigen, von deren Einfluss auf die hier lebenden
Einwanderer die meisten Deutschen nichts ahnen. Erst durch eine
Reise nach Anatolien gewinnt Schlüter Klarheit, doch zu einer
zufriedenstellenden Auflösung kommt es nicht.
Wilfried Eggers gelingt es über weite Strecken seines eindringlich
erzählten Romans dessen historischen und politischen Hintergrund
bruchlos in die Handlungsstruktur zu integrieren. Dialogpassagen,
deren didaktischer Charakter offenkundig ist, werden zwar nicht
vollständig vermieden, fallen aber nur selten unangenehm
auf. Zudem gilt die aufklärerische Absicht des Autors einem
Staatsverbrechen, über das, abgesehen von einigen dürren
Informationen, die man im Internet finden kann, hierzulande so
gut wie nichts bekannt ist. Dass sich das nun ändert, möchte
man nach Lektüre dieses Buches, wider besseres Wissen, hoffen.
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