Am Erker 89

Jörn Birkholz: Der Ausbruch

 
Rezensionen

Jörn Birkholz: Der Ausbruch
 

Unter Nichthelden ist der Antiheld ein Held?
Jochen Möller

In seinem Kurzroman Der Ausbruch erzählt Jörn Birkholz davon, wie Menschen, die nicht zu Helden taugen, mit Schlägen umgehen, mal vom Schicksal zugefügt, mal auch das Ergebnis eigener Makel.
Im Mittelpunkt der Handlung steht der in Bremen stecken gebliebene Archiv­angestellte Max. Als die temperament­volle Polin Iza, mit der ihn einst eine turbulente Beziehung verband, wieder in Max' notdürftig stabilisiertem Leben auftaucht, scheint es vorwärts­zugehen für die beiden – im Rahmen einer improvi­sierten Krisen-Reise nach Polen. Am Ende aber sehen wir mehr Bruch als Ausbruch.
Die Stärke des Romans liegt in der schnörkel­losen Beschreibung holpriger Lebens­etappen von Leuten, die sich wohl oder übel in der Fremde oder gegen Entfremdung behaupten müssen. Antibürgerliche Affekte münden in Antriebs­losigkeit. Spielsucht und Alkohol fordern ihren Tribut, und die Frage, ob Liebe möglich ist zwischen unzuverlässigen und manchmal gar gewalttätigen Menschen, bleibt unbeantwortet. Der Roman beleuchtet diese Themen angenehm diskret, weil Birkholz bei seinen Figuren bleibt und etwaige Wertungen uns überlässt.
Max ist ein klassischer Antiheld. Er wird besten­falls belächelt: "Dein ganzes Leben ist doch'n Krampf!" Zwar könnte er sich mit mehr Selbstbe­herrschung durchaus gesell­schaftlich etablieren, doch diese Perspektive wirkt nicht überzeugend. Denn er taugt weder zum Erziehungs­objekt seines provinziellen Vorgesetzten, eines Pedanten par excellence, noch zum Familienvater. Lustlo­sigkeit prägt die mäßige Beziehung mit seiner Lebens­gefährtin Annette, in der er sich als passiver "Papa" herumkom­mandieren lässt. Kein Wunder, dass sein Wiedersehen mit der sprung­haften Iza Hoffnung auf einen Ausbruch keimen lässt, auch wenn er es aufgrund seiner Erfahrungen in ihrem Milieu, die in umfäng­lichen Rückblenden geschildert werden, besser wissen sollte.
Wer diesen Roman liest, wird zum Mitwisser – und erwartet irgendwann nichts Erbauliches mehr von dessen Personal. Ein Sohn lügt, um seinem Vater eine große Summe aus der Tasche zu leiern. Der stoisch wirkende Wirt in dem Vororts-Vereins­heim, wo sich ein Teil der Handlung abspielt, hat ein Verhältnis mit der Putzfrau. Natürlich hinter dem Rücken seiner Frau, die an der Flasche hängt. Deren Tochter wiederum, die Beinahe-Heldin Iza, ist – nicht ganz überraschend – mit einem fragwürdigen Alphatypen zusammen. So ist es eine angenehme Über­raschung, dass gegen Ende auch die Nöte der Beinahe-Ehefrau Annette, die zunächst nur aus Max' genervter Perspektive beschrieben wird, Erwähnung finden.
Als Erzähler überzeugt Jörn Birkholz durch eine trockene Sprache und lapidaren Humor. Beides wiederum passt – fast schon zu gut! – zu einem flachländischen Ambiente, in dem Außenseiter, Sonderlinge und Klein­ganoven bei dem zueinander­finden, was Deutsche und Polen am einfachsten zusammen­bringt: Schnaps und Zigaretten.

 

Jörn Birkholz: Der Ausbruch. Roman. 186 Seiten. Karl Rauch. Düsseldorf 2024. € 25,00.