Am Erker 89

Christina König: Alles, was du wolltest

 
Rezensionen

Christina König: Alles, was du wolltest
 

Beglückend geglückt
Andreas Heckmann

Formstreng erzählt Christina König (*1993 in Linz) in ihrem Debütroman Alles, was du wolltest von der toxischen Beziehung zwischen Alexandra und Viktoria. Sie sind sehr unterschiedlich, doch Lust aufeinander und eine vertrackte gegenseitige Abhän­gigkeit halten sie zusammen. Kennen gelernt haben sie sich im Fitness­studio, wo Alex, die aus einfachen Verhältnissen kommt, nach ihrer Ausbildung zur Masseurin jobbt. Es funkt sofort zwischen ihr und Viktoria, einer reichen Tochter aus gutem Hause, sechs Jahre älter, Immobilien­maklerin und Hauseigentümerin (nachlesbar in Am Erker 86 unter dem Titel "Führ dich nicht auf"). Die etwas prollige Alex begegnet den Capricen ihrer sozial höher gestellten Freundin mit abwartender Skepsis und linder Renitenz, genießt zugleich aber die Vorteile, die ihr die Beziehung mit der recht neurotischen, aber auch großzügigen Geliebten bringt.
Das soziale Gefälle ist dieser Paarung mit soziolo­gischer und psycholo­gischer Akribie eingeschrieben, ja, Christina König scheint es geradezu darauf anzulegen, eine Versuchs­anordnung vorzuführen, und das auf raffinierte, elegante, sehr lakonische und verdichtete Weise. Zu den Kunstgriffen des Romans gehört, dass er auf mehreren Zeitebenen spielt: in einer Gegenwart, in der Alex bei Viktoria eingezogen ist und sich in deren Gartenhaus von ihr ein Studio hat einrichten lassen, in dem sie ihre Kundinnen massiert und mit Wellness-Erlebnissen beglückt; in einer Vergangenheit, in der die beiden zwar schon zusammen sind, aber Alex noch in einer WG lebt und mancherlei mit Freunden unternimmt; in einer Vorver­gangenheit, in der die Beziehung noch sehr jung ist; schließlich in einer Vorvorver­gangenheit, in der die beiden sich begegnen und durchaus routiniert auf einen One-Night-Stand zusteuern, aus dem mehr wird.
Erzählt wird aus der Perspektive von Alex, also von unten her, z.B. so: "Du schüttelst den Kopf. Die Falten um ihre Augen verraten, dass sie beleidigt ist. Sie empfindet es als Zeichen von mangelndem Interesse, dass du ihre Privatsphäre respektierst. Das ist es auch. Du hast keine Lust, ihre Chats zu lesen, und du traust ihr nicht zu, dass sie dich betrügt." In kurzen Sätzen voller Beobachtungs­kraft und treffenden Formulie­rungen wird das Ungleich­gewicht zwischen den Frauen fast quälend genau und erfrischend offen beschrieben: "Sie hat die Lecktücher gefunden und wirft sie in den Mülleimer. Viel anderes ist in diesem Mülleimer nicht drin. Wenn sie ihn ausleert und findet, er ist nicht voll genug, kriegst du noch ein paar Runden Sex mehr. Sie nennt das eure Quoten­erfüllung." Denn Viktoria ist eine Over­achieverin und will stets die Beste sein, während Alex gern fünf gerade sein lässt und mit der Lieblings­schwester TV-Abende mit Chips und billigem Alkohol einschiebt. Alex durchschaut das alles sehr genau, doch die Vorteile überwiegen immer aufs Neue ihren Unmut. "Sie schaut dich an wie eine Bettdecke, die sie auslüften und falten und glattstreichen will. Wenn du dich testen lässt, können wir ohne Tücher. / Wo mach ich so was? / Ich schick dir einen Link." Erzähl­ökonomie und Beschreibungs­intensität gehen bei Christina König atembe­raubende Verbindungen ein und lassen aufs Angenehmste spüren, mit wie viel Augenmaß und Sprachlust sie an der Wortkunst ihres Erstlings gefeilt hat.
Etwa in der Mitte des Buchs findet Alex in Viktorias Schreibtisch einen Verlobungs­ring, und die Autorin bietet ihren Leser:innen nun drei Romanschlüsse an, deren Gemeinsamkeit darin besteht, dass Alex aus ihrer eher passiven Rolle heraustritt, aktiver wird. Mehr soll nicht verraten werden, doch auch diese drei Versionen zeugen vom ästhetischen Ehrgeiz der Verfasserin, denn sie schließen an Der Zufall möglicher­weise an, einen der wichtigsten Filme von Krzysztof Kieślowski von 1981, dessen Grundidee Tom Tykwer 1998 mit Lola rennt aufgegriffen hat. Bei Kieślowski erreicht Witek in der ersten Version noch den Zug nach Warschau und macht in der KP Karriere; in der zweiten Version gerät er mit der Bahn­polizei aneinander und wird Oppositi­oneller; in der dritten Version verpasst er den Zug, verliebt sich und verschwindet im Privaten. Derart grund­sätzlich geht es in Alles, was du wolltest zwar nicht zu, aber in der Welt von Viktoria und Alex schlagen die Wellen dennoch hoch.
Christina König hat mit ihrem durchaus queeren und hochambi­tionierten Buch ein Juwel geschaffen, ein Sprach­kunstwerk von hoher Schönheit und großer Radika­lität.

 

Christina König: Alles, was du wolltest. Roman. 204 Seiten. Otto Müller. Salzburg 2025. € 24,00.