Am Erker 89

Kate Atkinson: Nacht über Soho

Kate Atkinson: Death at the Sign of the Rook

Percival Everett: Dr. No

Max Bronski: Die Josephsbrüder

 
Mord & Totschlag 89
Die Krimi-Kolumne von Joachim Feldmann
 

Nacht über Soho, Kate Atkinsons prächtig ausgestattete Inszenierung eines Londoner Halbweltdramas in den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts, landete auf dem ersten Platz der "Krimibesten­liste", und gleich lag die oft diskutierte Frage, was eigentlich einen Kriminal­roman ausmache, wieder einmal nah. Denn die auf historischen Vorbildern beruhende Geschichte der taffen Nachtclub­betreiberin Nellie Coker hat, um nur zwei Klassiker zu nennen, mehr mit Charles Dickens als mit Arthur Conan Doyle gemein. Auch wenn es dem figuren­reichen Roman an Mord und Totschlag nicht mangelt. Näher am Krimi ist der neue, noch nicht ins Deutsche übersetzte Fall ihres Serien­ermittlers Jackson Brodie: Death at the Sign of the Rook. Ein sehr amüsantes, gelegentlich metafik­tionales Spiel mit den Struktur­elementen traditio­neller britischer Detektiv­literatur, die angeblich zwischen 1920 und 1940 ein 'Goldenes Zeitalter' erlebt hat. Und sich auch Jahrzehnte später großer Beliebtheit erfreut, wie all die über Leichen stolpernden Senioren­kränzchen, Gemeinde­pfarrer und Dorfpo­lizisten zeigen. So viel mörderische Gemüt­lichkeit hat es mehr denn je verdient, zum Opfer postmoderner Spottlust zu werden. Voraus­gesetzt, eine fabelhafte Autorin wie Kate Atkinson nimmt sich der Sache an. Oder der vergleichbar talentierte Jonathan Coe, dessen satirische Romane über die britischen Verhältnisse ihren Effekt den schon immer gekonnt montierten Kolportage-Elementen verdankten. Ein aktuelles Beispiel ist Der Beweis meiner Unschuld, ein cleverer literarischer Beutezug, auf dem gleich mehrere populäre Genres gnadenlos, aber liebevoll geplündert werden. Ob die so demonstrierte Kunstfer­tigkeit der zeitkritischen Intention des Romans dienlich ist, darf natürlich gefragt werden. Vergnüglich ist Coes kreativer Umgang mit narrativen Konven­tionen allemal.
Das gilt auch für den ungemein produktiven amerika­nischen Autor Percival Everett, dessen Roman James im vergangenen Jahr viel Aufmerk­samkeit bekam. Schon zwei Jahre vor dieser radikalen Neu-Interpre­tation von Mark Twains Huckleberry Finn erschien in den USA die Super­schurken-Groteske Dr. No, die jetzt auch auf Deutsch vorliegt. Der Titel führt absichtlich in die Irre. Denn der Held und Erzähler des Romans ist kein klischeehaft sadistischer Bösewicht mit asiatischen Zügen wie in Ian Flemings gleich­namigem Bond-Abenteuer von 1958, sondern ein weltfremder Mathematiker namens Wala Kitu, der sich mit Leiden­schaft dem "Nichts" widmet. Einen genialen Verbrecher gibt es allerdings auch, doch der trägt keinen Doktortitel. John Sill ist ein schwarzer Milliardär, der sich Kitus Forschungen zunutze machen will, um sich an der rassistischen US-Gesellschaft zu rächen. Dazu bietet das "Nichts" schier unendliche Möglich­keiten, deren Verständnis aber nicht notwendig ist, um seinen Spaß an dem Buch zu haben. Denn auch semantisch lässt sich mit der Vokabel "Nichts" allerhand anstellen, sodass man lesend schnur­stracks in einer Wortspiel­hölle der ganz besonderen Art landet. Dort lässt es sich bis zu einem bestimmten Punkt ganz gut aushalten. Aber auch geistreiche Prosa kann ermüden. Zumal dem Autor kein zündender Abschluss für seine literarische Versuchs­anordnung eingefallen zu sein scheint. Was angesichts des narrativen Aufwands letzt­endlich doch ein bisschen unbefrie­digend ist.
Nach so viel Metafiktion gilt deshalb die letzte Empfehlung dieser Kolumne einem guten Bekannten, dem Münchner Trödler und Gelegenheits­ermittler Wilhelm Gossec, den sein aktueller Fall in ein Kloster führt, wo es selbstredend nicht mit rechten Dingen zugeht. Das Ambiente ist Gossec aus seiner Kindheit vertraut, aber nicht in einem positiven Sinne. "Waisenhaus­defekt" nennt er das leicht verharmlosend, ohne ins Detail zu gehen. Ein menschen­freundlicher Zeitgenosse ist er dennoch geworden. Und aufrecht obendrein. Deshalb kann er, nachdem der Fall geklärt ist, zwar leicht blessiert, aber erhobenen Hauptes von dannen ziehen. Der Autor Franz-Maria Sonner, der unter dem Pseudonym Max Bronski inzwischen mehr als ein Dutzend Kriminal­romane veröffentlicht hat, zeigt sich in Die Josephs­brüder als Routinier im besten Sinne. Und das ist viel wert.

 

Kate Atkinson: Nacht über Soho. Roman. Aus dem Englischen von Anette Grube. 528 Seiten. DuMont. Köln 2025. € 25,00.

Kate Atkinson: Death at the Sign of the Rook. 336 Seiten. Penguin. London 2024. € 14,95.

Percival Everett: Dr. No. Roman. Aus dem Amerikanischen von Nikolaus Stingl. 320 Seiten. Hanser. München 2025. € 26,00.

Max Bronski: Die Josephsbrüder. Kriminalroman. 130 Seiten. Nautilus. Hamburg 2025. € 16,00.